Freitag, 6. Februar 2009

Dokumente der Schlussversammlungen des Weltsozialforums 2009

Beim Weltsozialforum haben die thematischen Versammlungen am 1. Februar, dem Abschlusstag der Veranstaltung, Erklärungen abgegeben - ein Novum in der Geschichte des Forums. Besondere Aufmerksamkeit hat die Erklärung der indigenen Völker (Declaración de los pueblos indígenas) gefunden. Die Texte liegen in den jeweiligen Originalsprachen, Portugiesisch, Spanisch und/oder Englisch vor.

Die Dokumente sind auf der Internetseite des Evangelischen Entwicklungsdienstes zu finden.

Dienstag, 3. Februar 2009

Deregulierung, Solidarökonomie, Akkumulationskrise oder Sozialismus

Im Mittelpunk des Forums stand inhaltlich, zumindest für Medien und „alte“ Hasen der Bewegung, eine Antwort auf die wechselweise „Trikrise (Finanz-, Klima-, Nahrungskrise) oder gleich „Große Zivilisationskrise“ genannte ökonomische Erscheinung. Gefragt wurde nur, ob wir uns chancenreich oder apokalyptisch auf die Krise zu bewegen.

„Davos tot – Belém tanzt Samba“ hat natürlich vielen, die seit der Asienkrise 1997 genau das vorhergesehen haben, doch viel Genugtuung verschafft – seht her wir haben Recht gehabt! Man möchte traurig hinzufügen – leider! Die Analyse, ob es sich um eine klassische Überproduktionskrise, um eine neomarxistische Akkumulationskrise oder doch nur neokeynesianisch um eine Deregulierungskrise handelt, gingen zwar auseinander in Belém, aber einig war man sich, dass die „Linke Legitimationskrise“ seit dem Sturz der Berliner Mauer vorbei ist. Tatsächlich klingen die Vorschläge auf den Veranstaltungen nach Trockenlegung der Steueroasen, Verstaatlichung der Banken, demokratischer Kontrolle der Großkonzerne, etc. heute nach einem Bewerbungsschreiben bei Finanzminister Steinbrück. Aber auch der alte „Menschheitstraum“ nach Überwindung des kapitalistischen Systems und der Ruf nach einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts sind wieder hoffähig geworden.
Und das zu Recht. Dennoch stellen sich Menschen aus afrikanischen und den ärmsten asiatischen Ländern, aber auch Vertreter von Basisorganisationen, die mit den Ärmsten und Verletzlichsten in Schwellenländern wie Brasilien leben und arbeiten, die Frage, ob tatsächlich diese Drei- Vier oder Fünffachkrise die Chance bietet, durch eine Systemüberwindung für immer Schluss zu machen mit Hunger, Armut und Rechtlosigkeit.

Ich glaube, dass wir sehr schnell erleben werden, dass es gerade diese Menschen in den ärmsten Ländern sein werden, die zu allererst wieder die Opfer sind. Schon jetzt nimmt täglich die Zahl der Hungernden zu, weil deregulierte Staatssysteme keinen Schutz bieten. Kein afrikanisches Land kann aus der Portokasse mehrere Milliarden zur „Konjunkturbelebung“ ausschütten. Wenn Turbinen in den staatlichen Kraftwerken kaputtgehen, dann sind Kredite für neue kaum oder nur zu hohen Zinsen zu erhalten. Die wenigen Devisenüberschüsse der letzten Jahre regelmäßigen Wachstums wurden schon für Nahrungskäufe im Frühjahr 2008 aufgebraucht. Viele der gerade entschuldeten Staaten nehmen wieder Geld auf, um die allernotwendigsten sozialen Dienste aufrecht zu erhalten, und das zu horrenden Zinsen. Warum diese Krise existiert, wie wir sie bezeichnen, wie sie entstanden ist, interessiert in Afrika kaum jemanden, sie haben sie nicht verursacht und ihnen ist es egal, wie man sie nennt. Afrikas Menschen werden sie zu spüren bekommen und dafür bezahlen müssen. Von einem Morgen im Sozialismus des 21 Jahrhunderts mögen sie träumen, vom erneuten Rückfall in schlimmste Hungerzeiten sind sie heute bedroht. Aber auch davon war in Belém zu hören. Denkanstöße zur Zukunft Afrikas aus dem letzten Weltsozialforum in Nairobi wurden weiter entwickelt und in Belém in Debatten eingebracht. Wenige Stimmen zwar, aber doch ausreichend und am meisten doch durch die kirchlichen Werke wie dem EED und Brot für die Welt mit ihren langjährigen engen Beziehungen zu afrikanischen Partnern. Dennoch ist dieser Austausch zwischen den vermeintlichen Visionären einer besseren Zukunft und den Aktiven und Schwachen einer miserablen Gegenwart eine der zivilisatorischen Leistungen der Idee des Weltsozialforums. Ja, Belém war ein Treff der Weltmeinungen und ein Grund, Samba zu tanzen, noch besser wäre es in Zukunft, zusätzlich auch Davos, den Ort des Weltwirtschaftsforums zum Tanzen zu bringen.

Francisco Marí

WSF 2011

Der Internationale Rat des WSF tut sich mit der Entscheidung für den nächsten Austragungsort schwer. In drei Sitzungen, Berlin 2007 sowie Abuja und Kopenhagen 2008, ist den Afrikanern zugesichert worden: Das nächste Forum 2011 geht nach Afrika. Die im Rat vertretenen Organisationen aus diesem Kontinent sollten für die Sitzung im Anschluss an Belém einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten.
Ein solcher liegt nicht vor, wohl aber die entschiedene Zusicherung der etwa ein Dutzend afrikanischen Ratsmitglieder, das Forum in ihren Kontinent einladen zu wollen. Außerdem die Einengung auf zwei mögliche Gastgeberländer: Senegal und Südafrika, verbunden mit der Bitte, dem Prozess einer endgültigen Festlegung bis April 2009, der nächsten Sitzung des Rates in Marokko, Zeit zu geben.
Auch wenn der Rat diesem Vorschlag am Ende folgte: Der Weg dahin war hart. Zu verlockend schien es, angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise und der neuen politischen Konstellationen in den USA ein Forum 2011 in Nordamerika - Mexico, USA oer Kanada - auszurufen. Ein wenig geisterhaft aber auch die quälende Diskussion - denn wer weiß heute, ob 2011 die jetzige Krise Thema sein wird.

Montag, 2. Februar 2009

Belém: Als Amazonisches Forum Note 1, als "Welt“-Sozialforum Note 4

Der Internationale Rat des WSF hat am 2.2. eine Auswertung des abgeschlossenen Forums in Belém vorgenommen.
Quintessenz: Das Amazonische Forum hat alle Erwartungen erfüllt. Abstriche mussten bei der Internationalität gemacht werden.


Die Erwartungen an die Mobilisierung der indigenen Völker des Amazonasbeckens haben sich erfüllt. Ihre Präsenz war beeindruckend. Sie konnten ihre Anliegen zum Ausdruck bringen und auf die Besorgnis erregende Bedrohung ihrer Lebenswelt hinweise. Für sie ist das WSF in Belém zum Ort geworden, an dem sie ihr Selbstbewusstsein vor der ganzen Nation und einer internationalen Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen konnten. Auch die Quilombos, Siedlungen, die sich ehemals aus geflüchteten Sklaven, gegründet hatten, haben das Forum mit geprägt. Mehr als 1.500 Quilombolas sind nach Belém gekommen. Die sozialen Bewegungen, allen voran die der Landlosen, waren unübersehbar.
Die Bewohner des riesigen Amazonasbeckens haben somit trotz der enormen Entfernungen, der logistischen Herausforderungen und ihrer Armut die Plattform des Forums angenommen. Die Erwartungen, dass sich im Amazonasbecken die Belastungen einer forcierten Wirtschaftentwicklung für die Umwelt und die Bevölkerung besonders gut zeigen lassen, haben sich erfüllt. Indigene, Quilombolas, Kleinbauern und –bäuerinnen und die Flussfischer konnten eindrücklich nachweisen, dass sie in der Lage wären, die ökologischen Systeme zu schützen und den sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten.

Besonders beeindruckend ist es gewesen, wie viele junge Menschen das Forum geprägt haben. Der Internationale Rat ist erfreut darüber, dass eine neue Generation das Forum als sein eigenes übernommen hat. Die Jugendvertreter beklagen allerdings, dass die Jugend –wie die indigenen Völker auch – keine Vertretung im Internationalen Rat hat.

Unerträglich war die Ausgrenzung der Bewohner der an die Tagungsorte angrenzenden Slums. Sie sind durch die Einlasskontrollen vom Forumsgelände ferngehalten worden. Um bessere Zugänge zu den beiden gastgebenden Universitäten zu erhalten, waren Siedlungszeilen geräumt und Straßen verbreitert worden. Die Stadt Belém und der Bundesstaat Pará haben sich teilweise nur unwillig mit dem Organisationskomitee abgestimmt; Grundanliegen des WSF, wie zum Beispiel die Offenheit des Forums für Alle, sind dadurch gefährdet worden.

Ganz problematisch ist das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit angesichts des Müllbergs, den das Forum angerichtet hat und der Abfallflut, die sich über die Veranstaltungsgelände ergossen hat. Eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie des Forums ist überfällig.

Das „Amazonische Forum“ ist zwar gelungen. Ein „Welt“-Sozialforum ist Belém aber nur ansatzweise gewesen. Am ehesten noch dadurch, dass Problematiken und Auseinandersetzungen des Amazonasbeckens illustrieren, wie eine globalisierte Wirtschaft Räume und Menschen vereinnahmt. Die internationale Präsenz aber war schwach. Ganze Großregionen sind kaum vertreten gewesen: Afrika, Asien, der arabische Raum, Osteuropa.

Einen ganz entscheidenden Fortschritt haben die „Assambleias", die thematischen Versammlungen, des letzten Tages erbracht: Sie waren überwiegend gut vorbereitet und stark besucht. Fast alle haben Konsenspapiere verabschiedet, die demnächst ins Netz eingestellt werden und die der Internationale Rat diskutieren wird. Diese Kundgebungen sind wichtige Orientierungspunkte für Strategien der weltweiten Zivilgesellschaft, sich für eine „andere Welt“ einzusetzen.

Die Anwesenheit der fünf Staatsoberhäupter von Brasilien, Ecuador, Bolivien, Paraguay und Venezuela wertet das Forum auf. Sie haben die Leitlinien des Internationalen Rates beachtet: Keine Auftritte auf dem Forumsgelände, keine Großveranstaltungen während der Tagungszeiten 8.30 bis 18.00 Uhr. Bei keinem der Treffen mit Regierungschefs hat es allerdings einen Diskurs gegeben; die Selbstdarstellung der Präsidenten hat großen Raum eingenommen. Hier entstehen Fragen über das anzustrebende Verhältnis des Forums zu Regierungen. Einige Mitglieder des Rates wünschen demgegenüber eine viel engeres Miteinander von Zivilgesellschaft und „Regierungen, die von sozialen Bewegungen getragen werden".

Jürgen Reichel

Lokalradios: überzeugender Beitrag moderner Entwicklungszusammenarbeit

Die Presseagentur Agencia Pulsar ist Teil eines weltweiten Netzwerkes für kommunale Radios (AMARC), die eine alternative Berichterstattung verfolgen. Sitz der internationalen Organisation ist in Montreal;
die Dependance für Brasilien arbeitet in Rio de Janeiro und für die spanischsprachigen Länder Lateinamerikas in Buenos Aires.

Hier werden soziale und politische Themen und Ereignisse so aufbereitet, dass sie von den angeschlossenen Sendern problemlos übernommen werden können: etwa sieben Nachrichten täglich zur Übertragung und zum Download, dazu fünf kleinere Reportagen -- auch in Audio-Fassung -- sowie Sonderberichte wie derzeit vom Weltsozialforum. Die Agencia Pulsar erweitert also die lokale Berichterstattung, indem sie wichtige Informationen allgemein aufbereitet, für den Austausch von Erfahrungen sorgt und in solcher Weise vernetzt, dass dezentrale Strukturen gestärkt werden. So trägt die Agentur zur Demokratisierung bzw. zur Stärkung der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern bei.

Die Agencia Pulsar hat für ihre Arbeit eine Fachkraft des Evangelischen Entwicklungsdienstes gewonnen. Andreas Behn, ein Journalist aus Deutschland, arbeitet seit 2005 in Rio de Janeiro. Die wichtigsten Themen sind für ihn: Demokratisierung der Kommunikation, regionale Integration in Lateinamerika und internationale Handelsbeziehungen.

Die lokale Ebene durch Kommunikation stärken, Öffentlichkeit für wichtige Themen herstellen, der Zivilgesellschaft stärkeren Einfluss im medialen und politischen Bereich verschaffen: das ist ein überzeugender Beitrag moderner Entwicklungszusammenarbeit.

Christine Busch

Sonntag, 1. Februar 2009

Erklärungen der thematischen Foren am 2. und 3.2. im Internationalen Rat

Das 9. Weltsozialforum in Belém hat einen großen Schritt vorwärts getan: Zu circa 30 Themenbereichen trafen sich die Teilnehmer am Vormittag, um das Gehörte und Diskutierte der vergangenen Tage auszuwerten und um auszuloten, welche Aussagen gemeinsam getroffen werden können. Außerdem waren sie aufgefordert, Vorschläge für weltweite Aktionen zu unterbreiten. Resolutionen und Aktionsaufrufe werden ab morgen im Internationalen Rat des WSF gesichtet. Der EED vertritt dort APRODEV, den Dachverband evangelischer Hilfswerke und wird Ergebnisse in diesen Blog einstellen.

"Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich" (Lk 18,27)

Andacht der EED-Delegation zum 30.1.2009

Dieser Text stammt aus der Geschichte, in der der reiche Jüngling Jesus nach der Möglichkeit fragt, wie er das ewige Leben erlangen kann. Jesus fordert ihn auf, auf seinen Reichtum zu verzichten – der reiche Jüngling geht traurig davon. Jesus kommentiert dieses Verhalten mit dem bekannten Satz: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt. Die Zuhörenden fragen entsetzt: „Wer kann dann selig werden?“ Jesus antwortet ihnen: „Bei Gott ist möglich, was Menschen unmöglich erscheint.

Für mich lässt diese Antwort Jesu zwei Deutungen zu. Die eine wäre: Gott gibt Menschen, wie dem reichen Jüngling, noch die
Möglichkeit, die Haltung zu ihrem Besitz zu ändern, und die andere: Bei Gott haben auch die eine Chance, die reich sind.

Das Weltsozialforum hat das Motto „Eine andere Welt ist möglich“. Bei den verschiedenen Veranstaltungen dieses Forums ist mir immer wieder der Wunsch nach Veränderungen für diese Welt begegnet und die Frage nach einem anderen Umgang miteinander sowie die Forderungen nach Verständnis, Fairness und Gerechtigkeit. Ich frage mich allerdings, ob sie ausreichen, um diese Welt zu verändern. Reicht der beispielhafte Einsatz der Campesinas für die kleinbäuerliche Landwirtschaft aus gegen die Agroindustrie, genügt der Protest von den zahlreichen Initiativen, um die ungerechten Marktmechanismen zu verändern? Genügen Appelle, endlich einsichtig zu werden und das Konsumverhalten und den Energieverbrauch zu verändern? Ich spüre Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ratlosigkeit. Ist es möglich, menschenmöglich, diese Welt zu verändern?

Der Text der Tageslosung ist da wie ein Lichtblick. Er tröstet mich, denn ich lese daraus: Gott kann Dinge möglich machen, er kann Diktatoren, Politiker, Manager, Global Player... verändern. Er kann Unmögliches möglich machen. Trotzdem darf ich die Hände nicht in den Schoß legen. Es kann ja sein, dass Gott mich / Dich für diese Veränderung braucht. Dass er die Initiativen und das Engagement vieler Menschen braucht, um diese Welt so zu verändern, damit Unmögliches möglich wird.

Käthe Pühl

Samstag, 31. Januar 2009

Keine chicken schicken

Brasilianische Hähnchen den Brasilianern!
Na was denn sonst?
Der EED hat den globalen Hähnchenmarkt auf dem Weltsozialforum zum Thema gemacht. Betroffene und Experten aus Guinea Bisseau, Mozambique, Angola, Kamerun, Brasilien und Deutschland bestätigen:
Europäer essen Hühnerbrust, brasilianische Unternehmen entdecken den Markt, geben Kleinproduzenten Kredit für den Aufbau einer Hähnchenmast und wollen nach Europa exportieren, Europa denkt sich Handelshemmnisse aus, damit die eigenen Hähnchenfarmen keine Konkurrenz bekommen, andere Industrieländer und Brasilien selbst konsumieren Hähnchenbrust und was macht man mit Flügeln, Keulen und Rücken?
Einfach wegwerfen, weil die Hähnchenbrust schon die Produktionskosten und etwas für den Handel eingebracht hat? Das wäre doch zu schade. Also vielleicht nach Afrika? Die essen gerne und viel Huhn. Wenn man für den Export nach Afrika etwas mehr als die Transportkosten für das Hühnerklein bekommt, macht man schon Profit.
Afrikanische KonsumentInnen freuen sich über das extrem billige Hühnerklein, bis sie Bauschmerzen bekommen, weil irgendwo zwischen Kühlschiff im Hafen und Marktplatz im Hinterland die Kühlkette nicht funktioniert hat. Das kann schnell lebensgefährlich werden, aber niemand haftet und oft heilt auch niemand.
Und die afrikanischen Hühnerbauern? Die gehen Pleite, und zwar reihenweise. Mit quasi kostenlosen Importen können sie nicht konkurrieren. Kein Einkommen für die Familien, keine Schulkleidung, kein Schulgeld, weniger Bildung, mehr Hunger, kein Geld für Arztbesuche…
Wer profitiert? Der brasilianische Hühnerbauer? Der sitzt weinend auf dem Podium der Veranstaltung des WSF und beklagt sein Schicksal: Er kann seine Kredite nicht zurückzahlen. Die Preise für seine Hähnchen sind gesunken, die Zinsen für den Schuldendienst nicht. Die ganze Familie arbeitet was sie kann, aber sie kommt auf keinen grünen Zweig. Aufhören kann sie nicht, was soll sie sonst machen, um ihre riesigen Schulden zu tilgen?
Wer profitiert? Der globale Hähnchenhandel, die Futtermittelindustrie, der wohlhabende Konsument, der zum akzeptablen Preis Hühnerbrust isst, garantiert fettarm.
Was tun? Ganze Bio-Hühner kaufen und alles verwerten und insgesamt weniger Fleisch, globalen Export von Fleisch einstellen oder mindestens reduzieren, er richtet nur Schaden an.

Reinhard Benhöfer

Gastrecht für Alle in einer globalisierten Welt - Partner des EED und von BfdW diskutieren über nachhaltige Entwicklung

Welche sind die entscheidenden Weichenstellungen für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Lebensweise? Nachdem EED und Brot für die Welt Ende 2008 zusammen mit dem BUND die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ herausgegeben haben, beginnt mit dem Weltsozialforum der Austausch mit den Partnern der Hilfswerke darüber, ob wir zu gemeinsamen Vorstellungen dazu gelangen, wie wir in Zukunft leben und arbeiten, produzieren und konsumieren, Handel treiben und Energie erzeugen müssen, um weiteren Generationen die Zukunft nicht zu verbauen. Die Partner der Hilfswerke würden, kämen sie alle zusammen, ein eigenes kleines Weltsozialforum bilden. Am Abend des 31.1. sind in der Lutherischen Gemeinde von Belém freilich vor allem Menschen aus Mittel- und Südamerika, Afrika und Deutschland zusammen getroffen, mehr als 100 Menschen aus Basisbewegungen, NRO, Kirchen und Wissenschaft.

Energie muss teurer werden, sonst gibt es keine Anreize für eine Wende zur Reduktion des Verbrauchs“ schlägt Reinhard Benhöfer von der Evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers vor. Nur so könnten die Anstrengungen, auf solare Quellen umzusteigen, intensiviert werden. Dass das nicht nur für Deutschland gesagt war, sondern für Alle gelten würde, haben die Diskutanten vielleicht gar nicht wahrgenommen. Jedenfalls wird deutlich, dass wir zu diesem zentralen Aspekt einer nachhaltigen Energieversorgung Zurückhaltung erleben werden. Auch ein anderes Thema mit Sprengkraft wird nicht aufgenommen: Wie viel ökonomisches Wachstum, das den Ressourcenverbrauch in die Höhe treibt, wird noch möglich sein? Ist der Gipfel schon erreicht?

Dr. Walter Marschner von der Universität Grande Dourados erinnert daran, dass sich 80 % der Menschen als homo sapiens sapiens verhalten: Sie leben und verbrauchen so, dass die klimatischen Bedingungen nicht beeinträchtigt und die natürlichen Ressourcen noch lange reichen würden. 20 % allerdings bildeten die Klasse des homo sapiens globalis: Sie vergeuden und verschmutzen. Selbstkritisch fragt er aber auch an, warum das tropische Land Brasilien so gar nicht auf solare Energiequellen setze.

„Von den Europäern haben wir gelernt: Mein Bruder bin ich selbst“, erklärt uns Dr. Idrissa Embola aus Guinea-Bissau. Diese Denk- und Lebensweise sei nach dem Fall der Berliner Mauer anscheinend endgültig dabei, sich durchzusetzen. Das Wissen der Dorfgemeinschaften, zusammen zu überleben und einfach zu leben, sei in Afrika aber noch erhalten. Ob die losgetretene Lawine in seinem Kontinent aber noch aufzuhalten sei, sei fraglich: Die europäischen Konsumstandards seien zu verlockend.

Nach den Werten, die die Wirtschaft leiten, fragt auch die brasilianische Soziologin Maria Emilia Pacheco: Die Vermarktung des gesamten Lebens führe zwangsläufig dazu, sich im Konsum überbieten zu wollen. Es sei genau darauf zu achten, wer sich Ressourcen sichere.

Kontroversen sind an diesem Abend noch kaum aufgetreten – verhalten erinnert ein Diskutant aus Mozambique daran, dass die afrikanischen Böden überwiegend schlecht sein, dass eine Verbesserung der Anbaumethoden dringend erforderlich sei, um die Menschen in Afrika zu ernähren. Solche Diskurse werden die Hilfswerke mit ihren Partnern angehen müssen: Welche Bedarfe gibt es anderswo, die nicht so leicht abzustreiten sind, welche verschiedenen Wege müssen einzelne Länder in Anbetracht der extrem unterschiedlichen Entwicklung einschlagen? Die großen gegenwärtigen Krisen, so fasst Wilfried Steen vom Evangelischen Entwicklungsdienst die Diskussion zusammen, zwingen uns dazu, nachzudenken wie das „Gastrecht für Alle“ gewährleistet werden kann.

Jürgen Reichel

Freitag, 30. Januar 2009

100.000 t Hühnerbrüste für Deutschland



Nach Recherchen von Francisco Mari (EED) exportiert Brasilien gegenwärtig jährlich 100.000 t Hühnerbrüste nach Deutschland. Grund sind die veränderten Essgewohnheiten in Deutschland. Die Filetstücke werden bevorzugt gegessen und für das restliche Hühnerfleisch gibt es keine Verwertung mehr. Geht man davon aus, dass ein Huhn durchschnittlich 1,5 kg wiegt, müssen für die 100.000 t Hühnerbrüste 500 Millionen Hühner geschlachtet werden. Was passiert mit dem restlichen Hühnerfleisch?

Ein Teil dieses „Überschusses“ wird tief gefroren nach Afrika exportiert und landet dort auf den lokalen Märkten. Oft ist das Fleisch eigentlich ungenießbar geworden, da die Kühlkette unzuverlässig ist. Trotzdem wird es noch verkauft. Die Preise liegen unter denen des lokalen Marktes. Zu diesen Preisen können die Bauern in Afrika kein Hühnerfleisch liefern. Die Folge ist, dass zum Beispiel in Kamerun innerhalb von fünf Jahren 100.000 Produzenten von Hühnerfleisch Bankrott gegangen sind. Viele sind arbeitslos geworden. Familien haben ihr Einkommen verloren, müssen hungern und die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen.



Diesen Zusammenhängen von Agrarexporten und dem Verlust von Ernährungssouveränität in den Importländern ist eine Veranstaltung des EED auf dem Weltsozialforum nachgegangen. „Wir sind Menschen die eine Würde haben! Wir haben ein Recht auf Gerechtigkeit! Bitte hört auf, uns eure Fleischreste zu schicken!“ – so der Zwischenruf eines Besuchers aus Afrika während der Veranstaltung. Dass dies nicht so einfach ist, machte ein Zuhörer aus Brasilien deutlich: es sind oft Kleinproduzenten die sich zur Lieferung des Hühnerfleisches an die Exportfirmen verpflichtet haben und hoch verschuldet sind. Sie müssen ihren Verpflichtungen nachkommen und müssen sich die Preise zu denen sie liefern, diktieren lassen. Aus diesem Kreislauf können sie nicht so ohne weiteres aussteigen.

Drei Handlungsoptionen konnten in der Veranstaltung trotzdem aufgezeigt werden:
  • Verzicht auf den ausschließlichen Konsum von Hühnerbrust;
  • Die afrikanischen Länder müssen das Recht bekommen, ihre Märkte durch Einfuhrzölle schützen zu dürfen (so schützt etwa Japan mit einem 400% Einfuhrzoll auf Reis die Produktion im eigenen Land);
  • Es braucht Gesetze in den Importländern, die die Exporteure für den Verkauf von verdorbenem Fleisch zur Verantwortung ziehen.


Viele junge Menschen nehmen an dem Weltsozialforum teil. Einige von ihnen übernachten in einem großen Zeltcamp. Unter diesen klimatischen Bedingungen, der Hitze, den tropischen Regengüssen und der hohen Luftfeuchtigkeit haben sie meine Hochachtung und mein Mitgefühl!

Lula verteidigt vor dem Internationalen Rat seine Politik der Entwicklung mit der Brechstange

Der brasilianische Präsident spricht mit der Zivilgesellschaft, frei, ohne festen Fragekatalog. Heute, 30.1., drei Stunden lang mit dem Internationalen Rat des WSF. Manche seiner Präsidentenkollegen könnten sich eine Scheibe davon abschneiden – „Mit dem Gesicht zum Volke, nicht mit den Füssen in der Wolke“, wie Gerhard Schöne in der DDR gesungen hat. Leider ist Lula aber auch ein ausdauernder Langstreckenredner. Der ebenfalls anwesende Umweltminister kam nicht zu Wort – seine Position hätten wir gerne gehört.

Die Kluft zwischen dem Ex-Gewerkschafter Lula und dem Weltsozialforum ist größer geworden.

Drei Beispiele:

Wird Brasilien mit den anderen Entwicklungsländern solidarisch bleiben, wie wird Brasiliens Handelspolitik – es geht vor allem um Export landwirtschaftlicher Produkte und Brasilien neue Rolle als Erdölförderland – weiter gestaltet? Fragen von Kollegen und Kolleginnen aus Afrika und Lateinamerika. Jenseits aller verbalen Beteuerungen der Süd-Süd-Zusammenarbeit: Lula sieht die Rolle Brasiliens im erweiterten Kreis der G 8, im Weltsicherheitsrat, auf gleicher Ebene mit den USA, der EU, Russland, Japan. Die Entwicklungsländern könnten in Zukunft vom Erfahrungswissen Brasiliens profitieren: Wie entwickelt man Industrie, wie betreibt man exportorientierte Landwirtschaft, wie nutzt man die Ressourcen eines Landes richtig. Brasilien könne, anders als die alten Kolonialstaaten, die „absolut nichts“ für Afrika getan hätten, authentischer Entwicklungshilfe leisten und tue das auch schon – z.B. durch eine gut ausgestattete Forschungseinrichtung für tropische Landwirtschaft in Akkra (Ghana), die die Grüne Revolution in Afrika voranbringen solle.

Ob Brasiliens Politik der ländlichen Entwicklung zukunftsfähig sei?
Der Staatspräsident setzt auf Großprojekte. Er erklärt dem Rat die Bedeutung des großflächigen Anbaus von Soja und Baumwolle, von Infrastrukturmaßnahmen im Amazonas (Straßen, Staudämme, Erschließung von landwirtschaftlichen Flächen). Es sei vor allem wichtig, dass die Bevölkerung drei Mal am Tag zu essen habe – Reis, Bohnen und dass Arbeitsplätze entstünden. Die Ressourcen Brasiliens seien unerschöpflich – Land, Wasser, Bodenschätze.
Auf dem Forum und bei unseren Besuchen der Partner im Bundesstaat Pará haben wir etwas Anderes gehört. Da ist von der Umleitung von Flüssen (Rio San Francisco) die Rede, die der Industrie nutze, den Anwohnern aber das Wasser entziehen werde. Da setzen sich indigene Völker gegen den Bau von großen Stauseen in ihren Gebieten ein (Altamira). Da rechnen Bauernorganisationen vor, wie der großflächige Anbau von Soja letzte nutzbare Flächen auffrisst.
Auch wenn Manches geprüft werden muss – Umweltgesichtspunkte kommen im Programm Lula nicht vor.

Wie es mit der Medienfreiheit in Brasilien bestellt sei?
Die dahinter liegende Frage ist bedeutsam: In Brasilien sind Tausende von Lokalradios entstanden, die eine entscheidende Lücke im brasilianischen Mediensystem schließen könnten: Information – Information über die Angelegenheiten, die die Menschen in den Dörfern und den Favelas benötigen. Die Betreiber von Lokalradios stehen mit einem Fuß im Gefängnis, wie uns die EED-Fachkraft Andreas Behn (Rio de Janeiro) berichtet: Genehmigungen könnten sieben bis acht Jahre dauern; ob sie überhaupt erteilt werden, sei nicht sicher; bei evangelikalen Sendern ginge es leichter und schneller.
Lula hat es einer seiner Mitarbeiterinnen überlassen, diese Frage zu beantworten. Was tun Politiker in solchen Fällen? Sie verweisen auf die bestehende Gesetzeslage, die alles bestens regle. Ein wichtiges Anliegen sei freilich noch zu verfolgen: Betreiber illegaler Radios sollten nicht mehr ins Gefängnis wandern, sondern mit einer Geldstrafe davon kommen.

Notiz am Rande: Die Organisation der Landlosen in Brasilien, da Movimento Sem Terra (MST) hat sich gestern mit den Staatspräsidenten Paraguays, Boliviens, Ecuadors und Venezuelas in geschlossener Runde getroffen. Lula war vom MST nicht eingeladen, seine vier Kollegen haben das nachgeholt. Der Staatspräsident hat „aus terminlichen Gründen“ abgesagt.

Jürgen Reichel

Donnerstag, 29. Januar 2009

"Besser eine Idee in hundert Köpfen ...

"… als hundert Ideen in einem Kopf“. Mit diesem Motto warb Zulma Careca aus Bolivien für die Methode „von Bauer zu Bauer“ auf einer Veranstaltung von Brot für die Welt und ihren lateinamerikanischen Projektpartnern auf dem Weltsozialforum. Ziel ist die Stärkung einer ökologischen Landwirtschaft und die Förderung der biologischen Vielfalt. Was verbirgt sich hinter der Methode „von Bauer zu Bauer“?

Bei der Methode geht es darum, dass die Bauern untereinander ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben und auf Augenhöhe voneinander lernen. „Unsere Hauptaufgabe ist es, die Bauern davon zu überzeugen, dass die konventionelle Landwirtschaft schädlich ist und den Boden verseucht. Wir setzen dagegen unsere Erfahrungen und Erfolge mit der ökologischen und nachhaltigen Bewirtschaftung des Bodens“, berichtet Zulma Careca. Wir gehen in die Öffentlichkeit, auf Messen und bilden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus. Die eigenen Erfahrungen sind oft die überzeugendsten. Und von Erfolgen können sie berichten:

  • ehemals verseuchte Böden bringen langsam wieder bessere Erträge;
  • ihre Erträge insgesamt sind gestiegen;
  • durch die Vielfalt des Anbaus können Familien wieder von den eigenen Erträgen leben und zusätzlich einen kleinen Überschuss für den lokalen Markt produzieren;
  • die Gemeinschaft in den Dörfern und das Selbstbewusstsein der Bäuerinnen und Bauern ist gewachsen.

Von vergleichbaren Erfolgen berichteten Vertreterinnen und Vertreter aus Bolivien, Brasilien, Guatemala, Kuba, Mexiko, Panama und Peru

Dass Zulma Careca und all die anderen auf dem richtigen Weg sind, bestätigte Angelika Hilbeck vom Institut für Integrative Biologie in Zürich am Nachmittag bei der Veranstaltung „Kleinbäuerliche, indigene und nachhaltige Landwirtschaft als Weg zur Ernährungssouveränität in Zeiten weltweiter Nahrungsmittelkrisen“. Dort stellte sie die Ergebnisse des Weltagrarberichts vor, der auf UN-Ebene von 400 unabhängigen Wissenschaftlern verfasst wurde. Dieser Bericht bestätigt, dass die Ernährungssouveränität vor allem durch eine Stärkung der Kleinbauern und der Förderung biologischer und die Artenvielfalt erhaltene Anbaumethoden in der Landwirtschaft gesichert werden kann.

Begegnungen am ersten Tag





Vertreter indigener Völker eröffnen das Weltsozialforum



Treffen mit dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prot von Kunow am Rande des Weltsozialforums

Dienstag, 27. Januar 2009

Landlose Bauern erarbeiten sich selbst ihre Zukunft

26. Januar: Besuch eines Projektes der Movimento Sem Terra in Mosqueiro

Landarbeiter und Kleinbauern haben in Brasilien nach wie vor riesige Probleme. Es gibt Sklavenarbeit auf den Rinderfarmen, Kleinbauern ringen ums Überleben. Trotzdem ist die Landlosenbewegung eine der großen Erfolgsgeschichten der sozialen Bewegung in Brasilien.
In Mosqueiro zum Beispiel wurde Landbesetzern nach langen Jahren des Ringens mit der Landregierung von Para Land aus einem aufgegebenen Tourismusprojekt zugewiesen. Nun versuchen die Kleinbauern dieses Land möglichst nach ökologischen Grundsätzen zu bewirtschaften und vernünftige Anbaumethoden zu praktizieren, die ihnen auch das wirtschaftliche Überleben ermöglichen. Vielfalt statt Monokulturen ist das Stichwort. Statt das Land für Ölpalmen zu nutzen, die wegen des Schädlingsbefalls massenhaft Pestizide benötigen, wird durch den Anbau von Açai-Palmen und Cupuaçu-Bäumen sowie vielfältigen Feldfrüchten sichergestellt, dass die landwirtschaftliche Nutzung nachhaltig ist. Jeder Familie stehen ca. 4,5 Hektar landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung.

Anhörung im Landesparlament von Pará.

Auf Anregung einer Schweizer Parlamentarier-Delegation gab es eine parlamentarische Anhörung zu Fragen der Amazonas-Region. Dabei waren Abgeordnete sowie Expertinnen und Experten staatlicher Behörden, Vertreter von indigenen Organisationen und der Landlosen.
Die EED-Delegation war ebenfalls eingeladen.
Die Anhörung brachte die brennenden Themen Amazoniens wie die Abholzung und großagrarische Nutzung wie den Sojaanbau zu Gehör. Sie war zugleich ein Musterbeispiel dafür, wie Parlamentarier es verstehen, Reden zum Fenster raus zu halten. Da wurde von einer Abgeordneten der Mangel an Kultur und Kommunikationsfähigkeit bei den Flussbewohnern und den Caboclos beklagt. Ob dieser Hinweis den Armen und Benachteiligten dieses Landes wirklich hilft? Wer sich nicht zu wirklich durchgreifenden Aktionen zur Rettung des größten Naturreservats der Welt entschließen will, der redet und redet und redet ...

Indigene und Quilombolas geben Tempo und Ton an

Bis zum gestrigen Abend sind 92.000 Registrierungen für das Weltsozialforum erfolgt. Und
heute treffen sich viele der Frauen und Männer aus aller Welt wie auch aus den entlegenen Gebieten am Amazonas oder in den Anden mitten in der Stadt, um gemeinsam für Menschenrechte und Frieden zu demonstrieren. Vom Hafen führt die Demonstration ab 15 Uhr quer durch die Stadt auf einen zentralen Platz, wo abends die Kundgebung stattfindet. Eine Herausforderung für alle, die sich vom nachmittäglichen Wolkenbruch nicht beirren lassen, aber auch für Belém selbst, dessen Verkehr zum Erliegen kommt.

In den bunten Zug reihen sich auch die Delegationen von EED und Brot für die Welt ein. Das große Transparent fordert nachhaltige und ökologisch ausgerichtete landwirtschaftliche Produktion und sagt Nein zum Export von Nahrungsmittelresten in arme Länder – z.B. überschwemmt Hühnerklein aus europäischer und brasilianischer Produktion die Märkte Westafrikas; die einheimischen Geflügelmärkte sind längst zerstört. Eine riesige Plastikkuh von Greenpeace zeigt die nationalen Flaggen der Länder mit dem weltweit größten Fleischverbrauch. In der Nähe laufen Mitglieder der Lutherischen Kirche Brasiliens, die Frauen der Methodistischen Kirche Brasiliens, Vertreter und Vertreterinnen des Weltrates der Kirchen, viele Menschen aus anderen Organisationen und sozialen Bewegungen, die sich stark machen für konkrete Umweltanliegen und für die Einhaltung von Menschenrechten.

Dass auf dem Forum nicht über die Probleme indigener Völker geredet werden soll, sondern ihre Vertreterinnen und Vertreter selbst zur Sprache kommen werden, machen die anwesenden Indigenen und Quilombolas auf ihre Weise klar. Sie schaffen es, die relative Ordnung des Zuges mit ihrem schnelleren Tempo zu durchbrechen, geben durchaus Tempo und Ton an. Der morgige erste Tag des Forums wird sich Amazonien und seinen Menschen widmen.

Die kirchlichen Organistaionen, die auf dem Forum vertreten sind, bilden eine ökumenische Koalition unter dem Motto „Entwicklung – Rechte und Gerechtigkeit“; sie haben sich der gemeinsamen Vision „Eine andere Welt ist möglich“ verpflichtet. Zu den Mitgliedern gehören EED und BROT für die Welt, Caritas International, der Lutherische und der Reformierte Welrbund, der Weltrat der Kirchen, Pax Christi und viele andere. Die Koalition will Erfahrungen und Ideen austauschen, Fallstudien und Netzwerkarbeit fördern.

Christine Busch

Lutherische Gemeinde: Kultur, Sozialarbeit, Verteidigung der Menschenrechte

Die kleine lutherische Gemeinde in Belém hat eine enorme Ausstrahlung. Zur ihrer Tanzgruppe Iacá gehören mehr als 80 junge Leute; sie treten mit ihrer Musikgruppe im ganzen Land auf und sind auch beim Weltsozialforum präsent. Ihre CDs verkaufen sich gut.

Wenige Strassen vom Gemeindezentrum entfernt, in der Favela Vila da Barca direkt am Fluss, unterhält die Gemeinde ein Sozialprojekt für Kinder und Jugendliche in drei verschiedenen Altersgruppen. Es geht um kulturelle Bildung in einem Viertel, das durch hohe Arbeitslosigkeit der Eltern, sexuelle Ausbeutung besonders der Kinder, Drogenhandel und Gewalt geprägt ist. Der Gemeinde ist es wichtig, die Kinder und Jugendlichen zu aktivieren und mit ihnen Perspektiven zu erarbeiten. Die Angebote nehmen die Situation der Kinder auf, z.B. in selbst entwickelten Theateraufführungen. Musikinstrumente, die aus Abfall gebaut werden, kommen dabei zum Einsatz.
Vom Staat und von der Kommune sieht sich die Gemeinde allerdings nicht unterstützt. Als vor vier Jahren die Favela umstrukturiert wurde, wurde auch das Gebäude der Gemeinde abgerissen und ein weit kleineres, unzureichendes Provisorium zugewiesen, in dem sich nun 50 Kinder und Jugendliche mit einer Müttergruppe einen Raum teilen. Für dieses Jahr wurde endlich eine neue Lösung in Aussicht gestellt.

Die Favela selbst ist auf Pfählen über den Fluss gebaut: ein Ensemble von kleinen Bretterhütten, die über Stege zugänglich sind, dicht an dicht, hin und wieder ein winziger Laden oder ein Minigarten dabei. Die Fäkalien gehen direkt aus dem Plumpsklo oder dem in der Hütte integrierten Schweinestall in den Fluss, ebenso der Müll, denn eine Müllabfuhr gibt für die Favela nicht. 90 % der 3000 Familien, die hier leben, haben ein Einkommen von unter 400 Reais ( ca. 130 Euro ). Die Alternative zur Vila da Barca scheint höchstens eine andere Favela zu sein.
Weil der Boden unter den Hütten zunehmend weggeschwemmt wurde, gelang es, Vila da Barca in das 2003 von der Regierung Lula begonnene Urbanisierungsprogramm aufzunehmen. Gegen die Bevölkerung, die eine „Revitalisierung“ der gewachsenen Struktur, also eine Befestigung des Pfahldorfes, wünschte, entschieden die politischen Stellen für den Bau von 136 Wohnungen in unmittelbarer Nähe, jeweils mit Bad und drei oder vier kleinen Zimmern in zweigeschossiger Bauweise. Gut ein Jahr nach ihrer Fertigstellung sieht man ihnen nicht mehr an, wie jung sie sind. Zur qualitativ schlechten Bauausführung kommt hinzu, dass bei starkem Regen – vom Hochwasser ganz zu schweigen – das Wasser durch die Betonböden drückt. Die permanente Feuchtigkeit ist nicht zu beheben. Die Gemeinde hat wegen nachgewiesener Korruption den nationalen Rechnungshof eingeschaltet, so dass der Weiterbau der neuen Siedlung eingestellt werden musste.

Doch die Gemeinde macht sich nicht nur zur Fürsprecherin der Menschen. Sie versucht ebenso, ein juristisches Grundwissen zu vermitteln, über Rechte aufzuklären, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. „Empowerment“ ist das Ziel, also Stärkung oder Befähigung. Cibele Kuss, die Pfarrerin der Gemeinde, ist seit einiger Zeit Ombudsfrau für die Einhaltung der Menschenrechte in Belém. Als Vorsitzende eines Teams von 15 Mitarbeitenden, die sowohl die Zivilgesellschaft wie auch das Amt für öffentliche Sicherheit vertreten, hält sie Kontakt zur Staatsanwaltschaft, kann alle Dokumente der monierten Fälle einsehen und Befragungen durchführen. Sie übergibt der EED-Delegation eine Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen und Morde, die durch Polizisten begangen wurden. (siehe Blog Polizeigewalt und Straflosigkeit). Allein im Januar 2009 gab es neun Hinrichtungen; sieben Verfahren hat Cibele Kuss inzwischen eingeleitet. Die Angehörigen finden Zuflucht und Unterstützung in der Gemeinde, und sie haben endlich eine Hoffnung auf transparente, unter den Bedingungen und mit den Mitteln des Rechts geführte Strafverfahren gegen die Polizei.
Christine Busch

Montag, 26. Januar 2009

Polizeigewalt und Straflosigkeit in einer der Städte, die 2014 die Fußball-WM austragen soll

Ein Fall von vielen...,
Rosa Viana erzählt: „Mein Sohn Rafael, 21 Jahre, ist nach einer Party in eine Schlägerei verwickelt worden. Die Militärpolizei hat ihn aufgegriffen und abgeführt. 23 Tage lang haben wir nach ihm geforscht. Weder bei der Polizei noch in den Krankenhäusern konnten wir etwas über sein Verbleiben erfahren. Dann fand man seine Leiche in einem Abwasserkanal. Er wies Spuren von Folterungen auf. Man hatte ihm die Hände und Füße abgehackt. Wir konnten rekonstruieren, wer die sechs Polizisten waren, die ihn abtransportiert haben. Der Kommandant ist seither verschwunden. Das alles ist am 1. November 2007 passiert. Bisher ist die Verhandlung noch nicht eröffnet worden. Alle Spuren im Auto sind verwischt worden.“

... ein zweiter ...
Der Patenonkel von Raimundo Santiago Sales (28) und Romildo dos Santos ist selber Polizist. Er ist von seinen eigenen Kollegen mit dem Tode bedroht worden. Aus Zufall stieß er dazu, wie sich einige seiner Kollegen mit den Leichen seiner Patensöhne zu schaffen machten. Ihr Benehmen kam ihm eigenartig vor. „Lass uns alles im Guten regeln“, wurde er aufgefordert. Sie selbst hatten, so stellte es sich heraus, die beiden Jungen erschossen. Die Jungs wollten schwimmen gehen, waren nicht bewaffnet. Augenzeugen berichten, dass die Polizisten betrunken waren. Nicht sie müssen sich jetzt fürchten, sondern der Zeuge, der die „Kameradschaft verrät“. Er habe Angst um sein Leben, erzählt er uns.

... und viele weitere, die nicht verfolgt werden.
Diese Fälle sind von der Menschenrechtsbeauftragten der Stadt Belém, der lutherischen Pfarrerin Cibele Kuss, aufgenommen und recherchiert worden. Allein im Monat Januar seien schon neun Menschen Opfer der Polizeigewalt geworden. Alle seien wie Hinrichtungen inszeniert worden. Das sei nicht ungewöhnlich. Aber seitdem es eine Menschenrechtsbeauftragte gibt, werden die Fälle bekannt. Auf der einen Seite habe die von der Arbeiterpartei geführte Regierung des Bundesstaates die Ombudsfrau eingesetzt und unterstütze ihr Team von Juristen und Sozialarbeitern. Auf der anderen Seite würden die Ermittlungen behindert, obwohl die Polizei der Gouverneurin untersteht.

Belém ist Austragungsort für die Fußballweltmeisterschaft 2014.

Jürgen Reichel

Sonntag, 25. Januar 2009

Die Stimme erheben für Menschenrechte und Umwelt

Die Region Amazonien beeindruckt durch ihre enorme biologische Vielfalt. Doch dieser einzigartige Lebensraum gerät immer mehr in Gefahr: Transnationale Konzerne beuten die natürlichen Ressourcen wie Holz, Aluminium und Wasser aus. Im Kampf gegen die Zerstörung Amazoniens haben sich Aktionsgruppen aus sechs Anrainerstaaten zur Interessengemeinschaft FASE (Programm für Ernährungssicherheit, Agrarökologie und solidarische Ökonomie) zusammengeschlossen. Im Bundesstaat Pará, dem Ausrichtungsort des Weltsozialforums 2009, arbeiten 23 Männer und Frauen für FASE, landesweit sind es etwa 100 Mitarbeiter. Leticia Rangel Tura ist eine der Koordinatorinnen für die nationalen Programme der FASE.

Was ist die wichtigste Aufgabe von FASE?
Unsere wichtigste Aufgabe ist die Suche nach der Durchsetzung von Entwicklungsmodellen, die gleichzeitig die Menschenrechte garantieren und die Umwelt schützen.

Gibt es konkrete Beispiele für diesen Ansatz?
Ja. Zum Beispiel arbeiten wir mit Kleinbauern im Bereich der Agrarökologie oder Agroforstwirtschaft zusammen. Sie lernen, dass Monokulturen sie in eine zu große Abhängigkeit führen und zudem den Boden Dieses Modell ermöglicht es ihnen, ihre Ernährungssicherheit zu gewähren und gleichzeitig zerstört es auch nicht die Umwelt. Und sie können überleben mit dem, was sie in der Region erwirtschaften.

Was sind das für Leute?
Wir sind ein sehr multidisziplinäres Team: Bislang waren bei uns vorwiegen Leute mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund tätig, Soziologen, Historiker, Philosophen, Agronomen. Aber in letzter Zeit haben wir bei uns auch vermehrt eine neue Generation von aufgeklärten Mitarbeitern aus dem technischen Bereich und auch Juristen.

Was war Ihr bislang größter Erfolg?
Wir arbeiten in sechs Regionen an unterschiedlichen Problemen und vertreten dazu natürlich auch jeweils unterschiedliche Positionen. Deshalb wäre es ungerecht, ein Projekt als Highlight herauszuheben. Aber hier in Amazonien haben wir in einem Fall tatsächlich wirklich richtig öffentliche Politik verändert: In der Region Xingu hat die Umweltbehörde mal eine großé Menge an illegalem Holz beschlagnahmt und ein Vorschlag der Zivilgesellschaft war, dass die Regierung das Holz verkauft und aus dem Erlös einen Fond gründet, aus dessen Zinsen Kleinprojekte unterstützt werden von umweltschützenden und sozial gerechten Initiativen. Diesen sogenannten Dema-Fond hat die FASE mitverwaltet.

Sind Sie unbequem für die Regierung?
Wir üben harte, aber konstruktive Kritik, deshalb sind wir sicher an manchen Stellen unbequem. Es kommt aber auch immer drauf an, mit wem man spricht, denn die Regierung hat verschiedene Façetten, die zum Teil auch gegeneinander in Opposition sind.

Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit dem EED?
In einer Welt, wo die internationale Kooperation vermehrt einfachere Lösungen sucht und sehr pragmatisch wird, haben wir mit dem EED einen zuverlässigen Partner, der unsere Philosophie mit unterstützt und um die Komplexität der Prozesse weiß, in die wir involviert sind. Und das ist für uns sehr wichtig.

Interview: Martin Koch

Samstag, 24. Januar 2009

Müll, Müll, Müll

Der Amazonas vermüllt. Überall, wo wir hinkommen, in städtische oder ländliche Gemeinden, zu Flussfischern, Bauern oder Jugendlichen, wird über den Abfall gesprochen. Das Meer schwemmt Müll in die Mangrovensysteme des Amazonasdeltas, wo er hängen bleibt und bei Überschwemmungen auf die Felder und in die Wälder gelangt. Auch der Müll aus den städtischen Siedlungen gelangt in die Flusssysteme. Die vielen Flussinseln verwandeln sich in Müllhalden. Auch der Abfall, den die Inselbewohner selbst erzeugen, kann nicht entsorgt werden. Da, wo malerische Flussinseln Wochenendausflügler aus den Städten anziehen, ist es besonders schlimm.

Die Jugendlichen beginnen, sich zu wehren. Auf der Ilha (Insel) de Cotijuba, Naherholungsgebiet für die Millionenstadt Belém, beginnen sie, sich das Ausmaß des Desasters für ihre Heimat klar zu machen. Studieren Theaterstücke ein, die sie auf der Straße vorführen, etwa dieses: Die Flusskrebse, Schildkröten und Papageien beschweren sich bei der Polizei: Ihre Lebenswelt verdreckt. Alle entdecken plötzlich: Die Zuschauenden sind die Schuldigen. Die neue Losung Aller, die Zuschauer eingeschlossen, lautet:
O lixo é nosso irmao
Reciclar é a solucao
(Der Müll ist uns verwandt
Wiederverwerten ist die Lösung)
Während der Aufführung bekommen wir als Publikum Wasser ausgeschenkt. Aus Plastikbechern für jeden einzelnen. Das ist die absolute Ausnahme, versichern uns die Jugendlichen, sonst gibt es immer Trinkgläser!

Erste Erfolge stellen sich ein. Eine Müllabfuhr wurde auf der Insel eingerichtet. Der getrennt gesammelte Müll wird nach Belém verschifft. 
Der erste Schritt ist gemacht - "Müll" ist ein Problem, das beseitigt werden muss.
Wann der nächste Schritt - "Müll vermeiden" folgt, das ist noch offen. 
Bleibt diesem traumhaften Stück Erde nur zu wünschen: hoffentlich bald!

Jürgen Reichel / Käthe Pühl

Freitag, 23. Januar 2009

"Die Stimme der Indigenen ist sehr wichtig"

Das Weltsozialforum findet 2009 erstmals am Rande des Amazonas statt, in Belém, der Hauptstadt des Bundesstaats Pará. Die Region steht beispielhaft für viele Probleme Amazoniens: Der Wald und seine Bewohner müssen weichen – den Interessen internationaler Konzerne und dem wachsenden Energiehunger auf der Erde.
Aldalice Moura Cruz de Otterloo organisiert das Weltsozialforum vor Ort mit. Der EED sprach mit ihr über ihre Erfahrungen und Erwartungen.

Wie haben Sie reagiert, als Sie erfuhren, dass das Weltsozialforum dieses Jahr in Belém stattfindet?

Zuerst habe ich gedacht: Die Stadt hat gar keine Kapazitäten, sie ist von ihrer Struktur nicht auf 100.000 Besucherinnen und Besucher ausgelegt. Aber der zweite Gedanke war: Das ist eine große Herausforderung und eine Chance, die Probleme im Amazonas-Gebiet ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Welche Auswirkungen wird das Weltsozialforum auf Belém haben, beziehungsweise welche hat es bereits?

Die ersten bereits spürbaren Auswirkungen sind die Investitionen des Bundes in den öffentlichen Verkehr, die öffentliche Sicherheit und in den Bau und die Renovierung von Straßen und Unterkünften.
Außerdem profitieren viele Kleinunternehmer und kleine Projekte von den Investitionen, beispielsweise Frauen, die Lebensmittel produzieren, oder Schreinereien.
Am wichtigsten für uns Nichtregierungsorganisationen wird es sein, sich mit anderen Organisationen auszutauschen und neue Allianzen zu gründen. So können die Kräfte im Kampf für mehr Gerechtigkeit gebündelt werden.

Was ist jetzt noch zu tun?

Oh, vieles, vieles. Die Veranstaltungen sind auf zwei Universitäten in der Stadt verteilt. Die Infrastruktur dort ist teilweise noch gar nicht so weit, dass mehr als 100.000 Menschen Platz finden. Die Regierung hat viel in den Aufbau dieser Infrastruktur investiert. Wir hoffen, dass Belém davon auch langfristig profitiert – dass zum Beispiel die großen Zelte, die für die Seminare und Aktionen des Weltsozialforums aufgestellt werden, auch für spätere Großveranstaltungen genutzt werden können.

Welcher Aspekt freut Sie besonders?

Dass indigene Gruppen auf dem Weltsozialforum eine größere Aufmerksamkeit erfahren werden als bisher. In Brasilien gibt es insgesamt mehr als 300 Volksstämme, fast 90 von ihnen werden auf dem Forum vertreten sein und für ihre Sache sprechen. Allein von den knapp 60 Ethnien im Bundesstaat Pará werden etwa 50 indigene Völker Vertreterinnen und Vertreter schicken. Ihre Stimme auf dem Weltsozialforum ist sehr wichtig. Denn gerade indianische Gebiete sind bedroht von Abholzung durch transnationale Unternehmen oder durch Großprojekte wie die geplanten Staudämme am Rio Madeira. Allein für das Projekt müssten mehrere hundert Quadratkilometer Regenwald überflutet werden.

Interview: Martin Koch, Kirsten Lange

Besuch in Abaetetuba

Als Vorbereitung auf das Weltsozialforum hat uns die EED-Partnerorganisation FASE am 23. Januar eingeladen, Projekte der nachhaltigen Landwirtschaft rund um Belém kennenzulernen. Von Abaetetuba aus fuhr unsere kleine Gruppe mit einem Boot auf eine Insel, um die Familie eines Landwirts und Fischers kennenzulernen und dessen Methoden der nachhaltigen Bewirtschaftung von Acai-Palmen. Die Familie gehört zu den Quilombolas, den Nachkommen der Negersklaven, die aus der Sklaverei in unwegsame Gebiete des Amazonas entflohen waren. Im Rahmen einer Kooperative von 130 Familien wird Acai vermarktet, zum Teil als Öl. Mittlerweile sind diese als Siedler offiziell anerkannt oder haben gemeinsam Besitz- und Nutzungsrechte an ihrem Land. Sie haben uns vorgeführt, mit welcher Geschicklichkeit sie die Palmen erklettern.

Ihnen geht es jetzt sehr stark um eine extensive Agroforstnutzung, die ihnen die Lebensgrundlagen erhält. Gefährdet sind sie durch die steigende Flut des Müll, der bei Hochwasser bei ihnen angeschwemmt wird. Bei der Qualifizierung ihrer Arbeit werden sie sehr stark durch die EED-Partnerorganisation FASE unterstützt, die gerade den Kleinproduzenten hilft, sich am Markt zu behaupten.
Später haben wir noch die Verarbeitung von Acai und Cupuacu in einer kleinen Fabrik im Eigentum der Genossenschaft angesehen.
Auf der Rückführt nahmen wir eine Fähre, mit der wir im Dunklen vom Wasser aus auf die Millionenstadt Belém zufuhren.

Wilfried Steen

Donnerstag, 22. Januar 2009

Menschenrechte in Belém, Ostamazonien

Der Urwald schwindet, Holzfäller, Großgrundbesitzer, Transnationale Konzerne nehmen sich, was sie von den Naturschätzen der Region bekommen können?
Indigene Gemeinschaften, Kleinbauern, Fischer und andere kleine und machtlose Gemeinschaften müssen weichen?
Das Rechtssystem macht gemeinsame Sache mit den Mächtigen, Macht vor Recht?

Die nationale brasilianische Entwicklungsstrategie unterstützt die ökonomische Erschließung des größten Regenwaldgebietes der Erde. Unter Entwicklung wird nach wie vor vor allem Modernisierung und Integration aller Regionen in den globalen Markt verstanden.
Alle Amazonasstaaten, wenn auch von linken Parteien regiert, machen gemeinsame Sache, planen Verkehrswege vom Pazifik zum Atlantik und von Nord nach Süd, quer durch einen einmaligen Naturschatz, dessen Erhaltung entscheidend ist für die Biodiversität und für das Weltklima. Energiegewinnung, Bodenschätze, Naturgüter: Die ökonomischen Verlockungen für Staaten, nationale und multinationale Akteure sind riesengroß.

Wer wollte dem etwas entgegensetzen?
Brasilianische Menschenrechtsgruppen haben in Belem teilweise schon seit Jahrzehnten die Initiative ergriffen. Sie organisieren die, die keine Stimme haben, schließen sie zu weitreichenden Netzwerken zusammen und verändern die Welt.
Organisationen wie FASE, SDDH, UNIPOP, FAOR und andere haben in ihrem Kampf Erfolge, die uns staunen lassen:
Opfer von Polizeigewalt, illegale Aneignung von Land durch Großgrundbesitzer und Konzerne und vieles andere Unrecht wird wahrgenommen, dokumentiert und mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpft. Rechtsstaat, auch das ist zwar mehr eine Hoffnung als Realität. Aber die sozialen Bewegungen nehmen den Staat beim Wort, bei seinen Gesetzen. Sie verschaffen Rechtlosen Recht, ermutigen zum Kampf für mehr Gerechtigkeit, informieren über die erfolgversprechenden Wege des Widerstands gegen die Willkür.
Wie z. B. die Gemeinschaft Mirguella, städtische Landlose, die vor sieben Jahren brachliegendes, städtisches Land eines Großgrundbesitzers besetzten. Nach brasilianischen Gesetzen ihr gutes Recht. Nach Jahren der Auseinandersetzung mit der Justiz, dem Landbesitzer, der Polizei, der Drogenmafia zeigen sie voller Stolz das Ergebnis. Eine neue funktionierende Siedlung für 3000 Familien. Unerschütterliche eigene Energie, Hilfe von den Menschenrechtsorganisationen und von Lutherischen und der Katholischen Kirche haben ihre bis an die Existenz gehende Opferbereitschaft belohnt.
Finanzielle Unterstützung von Brot für die Welt und des Evangelischen Entwicklungsdienstes für die Menschenrechtsorganisationen helfen diesen Gruppen, ihren Kampf durchzuhalten und heute würdevoll zu leben.

Reinhard Benhöfer

"Entterritorialisierung der Bevölkerung“

„Entterritorialisierung der Bevölkerung“. Was für ein schreckliches Wort. Das, was sich dahinter verbirgt, ist furchtbar genug, informiert uns die Menschenrechtsorganisation SDDH (Sociedade paraense de Defesa dos Direitos Humanos, Gesellschaft zur Verteidigung der Menschenrechte in Pará).
Es wird mit Gewalt gegen die Menschen der amazonischen Region vorgegangen. Ihr Land wird benötigt, um Sojaanbau voranzutreiben, Straßen zu bauen, Holz zu schlagen, Eukalyptusplantagen anzulegen. Die Eukalyptusplantagen, „grüne Wüsten“, sind ein bizarres Ergebnis des weltweiten Emissionshandels: Sie werden als CO2-Senken ausgewiesen. Die Zerstörung der Biodiversität wird auch noch belohnt.
Die in der Verfassung garantierten Rechte der Bewohner, Indigene oder Kleinbauern, werden einfach außen vor gelassen. Es gibt enge Verflechtungen zwischen privaten Interessen und den politisch Verantwortlichen: Der Gouverneur von Mato Gross etwa ist selbst Großproduzent von Soja – solche Interessenkonflikte schwächen die Möglichkeiten, sich gegen Übergriffe zu wehren

Bemvindos - willkommen!

Passkontrolle bei der Zwischenlandung in Rio de Janeiro. Auf unseren Visaformularen haben wir als Grund des Besuchs eingetragen "Konferenz". Welche Konferenz wir denn besuchen wollen, fragt die Grenzbeamtin, aha, das Weltsozialforum in Belém. Ein Lächeln und Daumen nach oben: Bemvindos, willkommen

Mitglieder der Delegation - wie sind wir zu erreichen?

Mitglieder der Delegation
Reinhard Benhöfer, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers
Christine Busch, Evangelische Kirche im Rheinland
Detlev Knoche, Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Käthe Pühl, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern


Der EED ist vor Ort telefonisch erreichbar: 0055 -91 -8235
Martin Koch (Pressearbeit) -5440
Wilfried Steen (Vorstand EED) -5469
Jürgen Reichel (Leitung Delegation, Internat. Rat WSF) -5466
Francisco Marí (Fleischexporte) -5467
Luciano Wolff (Exposureprogramm) -5468



Eine andere Welt ist möglich!

Das 9. Weltsozialforum versammelt die sozialen Bewegungen der Welt und versteht sich als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum von Davos. Die Millionenstadt Belém im Mündungsgebiet des Amazonas wurde als Austragungsort gewählt, weil viele Aspekte der gegenwärtigen weltweiten Debatten um Klimawandel, Nahrungssicherheit, Biodiversität und Umweltschutz die Amazonasregion direkt betreffen. Zu den mehr als 2.400 Veranstaltungen des Weltsozialforums werden 80.000 Besucherinnen und Besucher erwartet.