Samstag, 24. Januar 2009

Müll, Müll, Müll

Der Amazonas vermüllt. Überall, wo wir hinkommen, in städtische oder ländliche Gemeinden, zu Flussfischern, Bauern oder Jugendlichen, wird über den Abfall gesprochen. Das Meer schwemmt Müll in die Mangrovensysteme des Amazonasdeltas, wo er hängen bleibt und bei Überschwemmungen auf die Felder und in die Wälder gelangt. Auch der Müll aus den städtischen Siedlungen gelangt in die Flusssysteme. Die vielen Flussinseln verwandeln sich in Müllhalden. Auch der Abfall, den die Inselbewohner selbst erzeugen, kann nicht entsorgt werden. Da, wo malerische Flussinseln Wochenendausflügler aus den Städten anziehen, ist es besonders schlimm.

Die Jugendlichen beginnen, sich zu wehren. Auf der Ilha (Insel) de Cotijuba, Naherholungsgebiet für die Millionenstadt Belém, beginnen sie, sich das Ausmaß des Desasters für ihre Heimat klar zu machen. Studieren Theaterstücke ein, die sie auf der Straße vorführen, etwa dieses: Die Flusskrebse, Schildkröten und Papageien beschweren sich bei der Polizei: Ihre Lebenswelt verdreckt. Alle entdecken plötzlich: Die Zuschauenden sind die Schuldigen. Die neue Losung Aller, die Zuschauer eingeschlossen, lautet:
O lixo é nosso irmao
Reciclar é a solucao
(Der Müll ist uns verwandt
Wiederverwerten ist die Lösung)
Während der Aufführung bekommen wir als Publikum Wasser ausgeschenkt. Aus Plastikbechern für jeden einzelnen. Das ist die absolute Ausnahme, versichern uns die Jugendlichen, sonst gibt es immer Trinkgläser!

Erste Erfolge stellen sich ein. Eine Müllabfuhr wurde auf der Insel eingerichtet. Der getrennt gesammelte Müll wird nach Belém verschifft. 
Der erste Schritt ist gemacht - "Müll" ist ein Problem, das beseitigt werden muss.
Wann der nächste Schritt - "Müll vermeiden" folgt, das ist noch offen. 
Bleibt diesem traumhaften Stück Erde nur zu wünschen: hoffentlich bald!

Jürgen Reichel / Käthe Pühl

Freitag, 23. Januar 2009

"Die Stimme der Indigenen ist sehr wichtig"

Das Weltsozialforum findet 2009 erstmals am Rande des Amazonas statt, in Belém, der Hauptstadt des Bundesstaats Pará. Die Region steht beispielhaft für viele Probleme Amazoniens: Der Wald und seine Bewohner müssen weichen – den Interessen internationaler Konzerne und dem wachsenden Energiehunger auf der Erde.
Aldalice Moura Cruz de Otterloo organisiert das Weltsozialforum vor Ort mit. Der EED sprach mit ihr über ihre Erfahrungen und Erwartungen.

Wie haben Sie reagiert, als Sie erfuhren, dass das Weltsozialforum dieses Jahr in Belém stattfindet?

Zuerst habe ich gedacht: Die Stadt hat gar keine Kapazitäten, sie ist von ihrer Struktur nicht auf 100.000 Besucherinnen und Besucher ausgelegt. Aber der zweite Gedanke war: Das ist eine große Herausforderung und eine Chance, die Probleme im Amazonas-Gebiet ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Welche Auswirkungen wird das Weltsozialforum auf Belém haben, beziehungsweise welche hat es bereits?

Die ersten bereits spürbaren Auswirkungen sind die Investitionen des Bundes in den öffentlichen Verkehr, die öffentliche Sicherheit und in den Bau und die Renovierung von Straßen und Unterkünften.
Außerdem profitieren viele Kleinunternehmer und kleine Projekte von den Investitionen, beispielsweise Frauen, die Lebensmittel produzieren, oder Schreinereien.
Am wichtigsten für uns Nichtregierungsorganisationen wird es sein, sich mit anderen Organisationen auszutauschen und neue Allianzen zu gründen. So können die Kräfte im Kampf für mehr Gerechtigkeit gebündelt werden.

Was ist jetzt noch zu tun?

Oh, vieles, vieles. Die Veranstaltungen sind auf zwei Universitäten in der Stadt verteilt. Die Infrastruktur dort ist teilweise noch gar nicht so weit, dass mehr als 100.000 Menschen Platz finden. Die Regierung hat viel in den Aufbau dieser Infrastruktur investiert. Wir hoffen, dass Belém davon auch langfristig profitiert – dass zum Beispiel die großen Zelte, die für die Seminare und Aktionen des Weltsozialforums aufgestellt werden, auch für spätere Großveranstaltungen genutzt werden können.

Welcher Aspekt freut Sie besonders?

Dass indigene Gruppen auf dem Weltsozialforum eine größere Aufmerksamkeit erfahren werden als bisher. In Brasilien gibt es insgesamt mehr als 300 Volksstämme, fast 90 von ihnen werden auf dem Forum vertreten sein und für ihre Sache sprechen. Allein von den knapp 60 Ethnien im Bundesstaat Pará werden etwa 50 indigene Völker Vertreterinnen und Vertreter schicken. Ihre Stimme auf dem Weltsozialforum ist sehr wichtig. Denn gerade indianische Gebiete sind bedroht von Abholzung durch transnationale Unternehmen oder durch Großprojekte wie die geplanten Staudämme am Rio Madeira. Allein für das Projekt müssten mehrere hundert Quadratkilometer Regenwald überflutet werden.

Interview: Martin Koch, Kirsten Lange

Besuch in Abaetetuba

Als Vorbereitung auf das Weltsozialforum hat uns die EED-Partnerorganisation FASE am 23. Januar eingeladen, Projekte der nachhaltigen Landwirtschaft rund um Belém kennenzulernen. Von Abaetetuba aus fuhr unsere kleine Gruppe mit einem Boot auf eine Insel, um die Familie eines Landwirts und Fischers kennenzulernen und dessen Methoden der nachhaltigen Bewirtschaftung von Acai-Palmen. Die Familie gehört zu den Quilombolas, den Nachkommen der Negersklaven, die aus der Sklaverei in unwegsame Gebiete des Amazonas entflohen waren. Im Rahmen einer Kooperative von 130 Familien wird Acai vermarktet, zum Teil als Öl. Mittlerweile sind diese als Siedler offiziell anerkannt oder haben gemeinsam Besitz- und Nutzungsrechte an ihrem Land. Sie haben uns vorgeführt, mit welcher Geschicklichkeit sie die Palmen erklettern.

Ihnen geht es jetzt sehr stark um eine extensive Agroforstnutzung, die ihnen die Lebensgrundlagen erhält. Gefährdet sind sie durch die steigende Flut des Müll, der bei Hochwasser bei ihnen angeschwemmt wird. Bei der Qualifizierung ihrer Arbeit werden sie sehr stark durch die EED-Partnerorganisation FASE unterstützt, die gerade den Kleinproduzenten hilft, sich am Markt zu behaupten.
Später haben wir noch die Verarbeitung von Acai und Cupuacu in einer kleinen Fabrik im Eigentum der Genossenschaft angesehen.
Auf der Rückführt nahmen wir eine Fähre, mit der wir im Dunklen vom Wasser aus auf die Millionenstadt Belém zufuhren.

Wilfried Steen

Donnerstag, 22. Januar 2009

Menschenrechte in Belém, Ostamazonien

Der Urwald schwindet, Holzfäller, Großgrundbesitzer, Transnationale Konzerne nehmen sich, was sie von den Naturschätzen der Region bekommen können?
Indigene Gemeinschaften, Kleinbauern, Fischer und andere kleine und machtlose Gemeinschaften müssen weichen?
Das Rechtssystem macht gemeinsame Sache mit den Mächtigen, Macht vor Recht?

Die nationale brasilianische Entwicklungsstrategie unterstützt die ökonomische Erschließung des größten Regenwaldgebietes der Erde. Unter Entwicklung wird nach wie vor vor allem Modernisierung und Integration aller Regionen in den globalen Markt verstanden.
Alle Amazonasstaaten, wenn auch von linken Parteien regiert, machen gemeinsame Sache, planen Verkehrswege vom Pazifik zum Atlantik und von Nord nach Süd, quer durch einen einmaligen Naturschatz, dessen Erhaltung entscheidend ist für die Biodiversität und für das Weltklima. Energiegewinnung, Bodenschätze, Naturgüter: Die ökonomischen Verlockungen für Staaten, nationale und multinationale Akteure sind riesengroß.

Wer wollte dem etwas entgegensetzen?
Brasilianische Menschenrechtsgruppen haben in Belem teilweise schon seit Jahrzehnten die Initiative ergriffen. Sie organisieren die, die keine Stimme haben, schließen sie zu weitreichenden Netzwerken zusammen und verändern die Welt.
Organisationen wie FASE, SDDH, UNIPOP, FAOR und andere haben in ihrem Kampf Erfolge, die uns staunen lassen:
Opfer von Polizeigewalt, illegale Aneignung von Land durch Großgrundbesitzer und Konzerne und vieles andere Unrecht wird wahrgenommen, dokumentiert und mit den Mitteln des Rechtsstaats bekämpft. Rechtsstaat, auch das ist zwar mehr eine Hoffnung als Realität. Aber die sozialen Bewegungen nehmen den Staat beim Wort, bei seinen Gesetzen. Sie verschaffen Rechtlosen Recht, ermutigen zum Kampf für mehr Gerechtigkeit, informieren über die erfolgversprechenden Wege des Widerstands gegen die Willkür.
Wie z. B. die Gemeinschaft Mirguella, städtische Landlose, die vor sieben Jahren brachliegendes, städtisches Land eines Großgrundbesitzers besetzten. Nach brasilianischen Gesetzen ihr gutes Recht. Nach Jahren der Auseinandersetzung mit der Justiz, dem Landbesitzer, der Polizei, der Drogenmafia zeigen sie voller Stolz das Ergebnis. Eine neue funktionierende Siedlung für 3000 Familien. Unerschütterliche eigene Energie, Hilfe von den Menschenrechtsorganisationen und von Lutherischen und der Katholischen Kirche haben ihre bis an die Existenz gehende Opferbereitschaft belohnt.
Finanzielle Unterstützung von Brot für die Welt und des Evangelischen Entwicklungsdienstes für die Menschenrechtsorganisationen helfen diesen Gruppen, ihren Kampf durchzuhalten und heute würdevoll zu leben.

Reinhard Benhöfer

"Entterritorialisierung der Bevölkerung“

„Entterritorialisierung der Bevölkerung“. Was für ein schreckliches Wort. Das, was sich dahinter verbirgt, ist furchtbar genug, informiert uns die Menschenrechtsorganisation SDDH (Sociedade paraense de Defesa dos Direitos Humanos, Gesellschaft zur Verteidigung der Menschenrechte in Pará).
Es wird mit Gewalt gegen die Menschen der amazonischen Region vorgegangen. Ihr Land wird benötigt, um Sojaanbau voranzutreiben, Straßen zu bauen, Holz zu schlagen, Eukalyptusplantagen anzulegen. Die Eukalyptusplantagen, „grüne Wüsten“, sind ein bizarres Ergebnis des weltweiten Emissionshandels: Sie werden als CO2-Senken ausgewiesen. Die Zerstörung der Biodiversität wird auch noch belohnt.
Die in der Verfassung garantierten Rechte der Bewohner, Indigene oder Kleinbauern, werden einfach außen vor gelassen. Es gibt enge Verflechtungen zwischen privaten Interessen und den politisch Verantwortlichen: Der Gouverneur von Mato Gross etwa ist selbst Großproduzent von Soja – solche Interessenkonflikte schwächen die Möglichkeiten, sich gegen Übergriffe zu wehren

Bemvindos - willkommen!

Passkontrolle bei der Zwischenlandung in Rio de Janeiro. Auf unseren Visaformularen haben wir als Grund des Besuchs eingetragen "Konferenz". Welche Konferenz wir denn besuchen wollen, fragt die Grenzbeamtin, aha, das Weltsozialforum in Belém. Ein Lächeln und Daumen nach oben: Bemvindos, willkommen

Mitglieder der Delegation - wie sind wir zu erreichen?

Mitglieder der Delegation
Reinhard Benhöfer, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers
Christine Busch, Evangelische Kirche im Rheinland
Detlev Knoche, Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Käthe Pühl, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern


Der EED ist vor Ort telefonisch erreichbar: 0055 -91 -8235
Martin Koch (Pressearbeit) -5440
Wilfried Steen (Vorstand EED) -5469
Jürgen Reichel (Leitung Delegation, Internat. Rat WSF) -5466
Francisco Marí (Fleischexporte) -5467
Luciano Wolff (Exposureprogramm) -5468



Eine andere Welt ist möglich!

Das 9. Weltsozialforum versammelt die sozialen Bewegungen der Welt und versteht sich als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum von Davos. Die Millionenstadt Belém im Mündungsgebiet des Amazonas wurde als Austragungsort gewählt, weil viele Aspekte der gegenwärtigen weltweiten Debatten um Klimawandel, Nahrungssicherheit, Biodiversität und Umweltschutz die Amazonasregion direkt betreffen. Zu den mehr als 2.400 Veranstaltungen des Weltsozialforums werden 80.000 Besucherinnen und Besucher erwartet.