Samstag, 31. Januar 2009

Keine chicken schicken

Brasilianische Hähnchen den Brasilianern!
Na was denn sonst?
Der EED hat den globalen Hähnchenmarkt auf dem Weltsozialforum zum Thema gemacht. Betroffene und Experten aus Guinea Bisseau, Mozambique, Angola, Kamerun, Brasilien und Deutschland bestätigen:
Europäer essen Hühnerbrust, brasilianische Unternehmen entdecken den Markt, geben Kleinproduzenten Kredit für den Aufbau einer Hähnchenmast und wollen nach Europa exportieren, Europa denkt sich Handelshemmnisse aus, damit die eigenen Hähnchenfarmen keine Konkurrenz bekommen, andere Industrieländer und Brasilien selbst konsumieren Hähnchenbrust und was macht man mit Flügeln, Keulen und Rücken?
Einfach wegwerfen, weil die Hähnchenbrust schon die Produktionskosten und etwas für den Handel eingebracht hat? Das wäre doch zu schade. Also vielleicht nach Afrika? Die essen gerne und viel Huhn. Wenn man für den Export nach Afrika etwas mehr als die Transportkosten für das Hühnerklein bekommt, macht man schon Profit.
Afrikanische KonsumentInnen freuen sich über das extrem billige Hühnerklein, bis sie Bauschmerzen bekommen, weil irgendwo zwischen Kühlschiff im Hafen und Marktplatz im Hinterland die Kühlkette nicht funktioniert hat. Das kann schnell lebensgefährlich werden, aber niemand haftet und oft heilt auch niemand.
Und die afrikanischen Hühnerbauern? Die gehen Pleite, und zwar reihenweise. Mit quasi kostenlosen Importen können sie nicht konkurrieren. Kein Einkommen für die Familien, keine Schulkleidung, kein Schulgeld, weniger Bildung, mehr Hunger, kein Geld für Arztbesuche…
Wer profitiert? Der brasilianische Hühnerbauer? Der sitzt weinend auf dem Podium der Veranstaltung des WSF und beklagt sein Schicksal: Er kann seine Kredite nicht zurückzahlen. Die Preise für seine Hähnchen sind gesunken, die Zinsen für den Schuldendienst nicht. Die ganze Familie arbeitet was sie kann, aber sie kommt auf keinen grünen Zweig. Aufhören kann sie nicht, was soll sie sonst machen, um ihre riesigen Schulden zu tilgen?
Wer profitiert? Der globale Hähnchenhandel, die Futtermittelindustrie, der wohlhabende Konsument, der zum akzeptablen Preis Hühnerbrust isst, garantiert fettarm.
Was tun? Ganze Bio-Hühner kaufen und alles verwerten und insgesamt weniger Fleisch, globalen Export von Fleisch einstellen oder mindestens reduzieren, er richtet nur Schaden an.

Reinhard Benhöfer

Gastrecht für Alle in einer globalisierten Welt - Partner des EED und von BfdW diskutieren über nachhaltige Entwicklung

Welche sind die entscheidenden Weichenstellungen für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Lebensweise? Nachdem EED und Brot für die Welt Ende 2008 zusammen mit dem BUND die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ herausgegeben haben, beginnt mit dem Weltsozialforum der Austausch mit den Partnern der Hilfswerke darüber, ob wir zu gemeinsamen Vorstellungen dazu gelangen, wie wir in Zukunft leben und arbeiten, produzieren und konsumieren, Handel treiben und Energie erzeugen müssen, um weiteren Generationen die Zukunft nicht zu verbauen. Die Partner der Hilfswerke würden, kämen sie alle zusammen, ein eigenes kleines Weltsozialforum bilden. Am Abend des 31.1. sind in der Lutherischen Gemeinde von Belém freilich vor allem Menschen aus Mittel- und Südamerika, Afrika und Deutschland zusammen getroffen, mehr als 100 Menschen aus Basisbewegungen, NRO, Kirchen und Wissenschaft.

Energie muss teurer werden, sonst gibt es keine Anreize für eine Wende zur Reduktion des Verbrauchs“ schlägt Reinhard Benhöfer von der Evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers vor. Nur so könnten die Anstrengungen, auf solare Quellen umzusteigen, intensiviert werden. Dass das nicht nur für Deutschland gesagt war, sondern für Alle gelten würde, haben die Diskutanten vielleicht gar nicht wahrgenommen. Jedenfalls wird deutlich, dass wir zu diesem zentralen Aspekt einer nachhaltigen Energieversorgung Zurückhaltung erleben werden. Auch ein anderes Thema mit Sprengkraft wird nicht aufgenommen: Wie viel ökonomisches Wachstum, das den Ressourcenverbrauch in die Höhe treibt, wird noch möglich sein? Ist der Gipfel schon erreicht?

Dr. Walter Marschner von der Universität Grande Dourados erinnert daran, dass sich 80 % der Menschen als homo sapiens sapiens verhalten: Sie leben und verbrauchen so, dass die klimatischen Bedingungen nicht beeinträchtigt und die natürlichen Ressourcen noch lange reichen würden. 20 % allerdings bildeten die Klasse des homo sapiens globalis: Sie vergeuden und verschmutzen. Selbstkritisch fragt er aber auch an, warum das tropische Land Brasilien so gar nicht auf solare Energiequellen setze.

„Von den Europäern haben wir gelernt: Mein Bruder bin ich selbst“, erklärt uns Dr. Idrissa Embola aus Guinea-Bissau. Diese Denk- und Lebensweise sei nach dem Fall der Berliner Mauer anscheinend endgültig dabei, sich durchzusetzen. Das Wissen der Dorfgemeinschaften, zusammen zu überleben und einfach zu leben, sei in Afrika aber noch erhalten. Ob die losgetretene Lawine in seinem Kontinent aber noch aufzuhalten sei, sei fraglich: Die europäischen Konsumstandards seien zu verlockend.

Nach den Werten, die die Wirtschaft leiten, fragt auch die brasilianische Soziologin Maria Emilia Pacheco: Die Vermarktung des gesamten Lebens führe zwangsläufig dazu, sich im Konsum überbieten zu wollen. Es sei genau darauf zu achten, wer sich Ressourcen sichere.

Kontroversen sind an diesem Abend noch kaum aufgetreten – verhalten erinnert ein Diskutant aus Mozambique daran, dass die afrikanischen Böden überwiegend schlecht sein, dass eine Verbesserung der Anbaumethoden dringend erforderlich sei, um die Menschen in Afrika zu ernähren. Solche Diskurse werden die Hilfswerke mit ihren Partnern angehen müssen: Welche Bedarfe gibt es anderswo, die nicht so leicht abzustreiten sind, welche verschiedenen Wege müssen einzelne Länder in Anbetracht der extrem unterschiedlichen Entwicklung einschlagen? Die großen gegenwärtigen Krisen, so fasst Wilfried Steen vom Evangelischen Entwicklungsdienst die Diskussion zusammen, zwingen uns dazu, nachzudenken wie das „Gastrecht für Alle“ gewährleistet werden kann.

Jürgen Reichel

Freitag, 30. Januar 2009

100.000 t Hühnerbrüste für Deutschland



Nach Recherchen von Francisco Mari (EED) exportiert Brasilien gegenwärtig jährlich 100.000 t Hühnerbrüste nach Deutschland. Grund sind die veränderten Essgewohnheiten in Deutschland. Die Filetstücke werden bevorzugt gegessen und für das restliche Hühnerfleisch gibt es keine Verwertung mehr. Geht man davon aus, dass ein Huhn durchschnittlich 1,5 kg wiegt, müssen für die 100.000 t Hühnerbrüste 500 Millionen Hühner geschlachtet werden. Was passiert mit dem restlichen Hühnerfleisch?

Ein Teil dieses „Überschusses“ wird tief gefroren nach Afrika exportiert und landet dort auf den lokalen Märkten. Oft ist das Fleisch eigentlich ungenießbar geworden, da die Kühlkette unzuverlässig ist. Trotzdem wird es noch verkauft. Die Preise liegen unter denen des lokalen Marktes. Zu diesen Preisen können die Bauern in Afrika kein Hühnerfleisch liefern. Die Folge ist, dass zum Beispiel in Kamerun innerhalb von fünf Jahren 100.000 Produzenten von Hühnerfleisch Bankrott gegangen sind. Viele sind arbeitslos geworden. Familien haben ihr Einkommen verloren, müssen hungern und die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen.



Diesen Zusammenhängen von Agrarexporten und dem Verlust von Ernährungssouveränität in den Importländern ist eine Veranstaltung des EED auf dem Weltsozialforum nachgegangen. „Wir sind Menschen die eine Würde haben! Wir haben ein Recht auf Gerechtigkeit! Bitte hört auf, uns eure Fleischreste zu schicken!“ – so der Zwischenruf eines Besuchers aus Afrika während der Veranstaltung. Dass dies nicht so einfach ist, machte ein Zuhörer aus Brasilien deutlich: es sind oft Kleinproduzenten die sich zur Lieferung des Hühnerfleisches an die Exportfirmen verpflichtet haben und hoch verschuldet sind. Sie müssen ihren Verpflichtungen nachkommen und müssen sich die Preise zu denen sie liefern, diktieren lassen. Aus diesem Kreislauf können sie nicht so ohne weiteres aussteigen.

Drei Handlungsoptionen konnten in der Veranstaltung trotzdem aufgezeigt werden:
  • Verzicht auf den ausschließlichen Konsum von Hühnerbrust;
  • Die afrikanischen Länder müssen das Recht bekommen, ihre Märkte durch Einfuhrzölle schützen zu dürfen (so schützt etwa Japan mit einem 400% Einfuhrzoll auf Reis die Produktion im eigenen Land);
  • Es braucht Gesetze in den Importländern, die die Exporteure für den Verkauf von verdorbenem Fleisch zur Verantwortung ziehen.


Viele junge Menschen nehmen an dem Weltsozialforum teil. Einige von ihnen übernachten in einem großen Zeltcamp. Unter diesen klimatischen Bedingungen, der Hitze, den tropischen Regengüssen und der hohen Luftfeuchtigkeit haben sie meine Hochachtung und mein Mitgefühl!

Lula verteidigt vor dem Internationalen Rat seine Politik der Entwicklung mit der Brechstange

Der brasilianische Präsident spricht mit der Zivilgesellschaft, frei, ohne festen Fragekatalog. Heute, 30.1., drei Stunden lang mit dem Internationalen Rat des WSF. Manche seiner Präsidentenkollegen könnten sich eine Scheibe davon abschneiden – „Mit dem Gesicht zum Volke, nicht mit den Füssen in der Wolke“, wie Gerhard Schöne in der DDR gesungen hat. Leider ist Lula aber auch ein ausdauernder Langstreckenredner. Der ebenfalls anwesende Umweltminister kam nicht zu Wort – seine Position hätten wir gerne gehört.

Die Kluft zwischen dem Ex-Gewerkschafter Lula und dem Weltsozialforum ist größer geworden.

Drei Beispiele:

Wird Brasilien mit den anderen Entwicklungsländern solidarisch bleiben, wie wird Brasiliens Handelspolitik – es geht vor allem um Export landwirtschaftlicher Produkte und Brasilien neue Rolle als Erdölförderland – weiter gestaltet? Fragen von Kollegen und Kolleginnen aus Afrika und Lateinamerika. Jenseits aller verbalen Beteuerungen der Süd-Süd-Zusammenarbeit: Lula sieht die Rolle Brasiliens im erweiterten Kreis der G 8, im Weltsicherheitsrat, auf gleicher Ebene mit den USA, der EU, Russland, Japan. Die Entwicklungsländern könnten in Zukunft vom Erfahrungswissen Brasiliens profitieren: Wie entwickelt man Industrie, wie betreibt man exportorientierte Landwirtschaft, wie nutzt man die Ressourcen eines Landes richtig. Brasilien könne, anders als die alten Kolonialstaaten, die „absolut nichts“ für Afrika getan hätten, authentischer Entwicklungshilfe leisten und tue das auch schon – z.B. durch eine gut ausgestattete Forschungseinrichtung für tropische Landwirtschaft in Akkra (Ghana), die die Grüne Revolution in Afrika voranbringen solle.

Ob Brasiliens Politik der ländlichen Entwicklung zukunftsfähig sei?
Der Staatspräsident setzt auf Großprojekte. Er erklärt dem Rat die Bedeutung des großflächigen Anbaus von Soja und Baumwolle, von Infrastrukturmaßnahmen im Amazonas (Straßen, Staudämme, Erschließung von landwirtschaftlichen Flächen). Es sei vor allem wichtig, dass die Bevölkerung drei Mal am Tag zu essen habe – Reis, Bohnen und dass Arbeitsplätze entstünden. Die Ressourcen Brasiliens seien unerschöpflich – Land, Wasser, Bodenschätze.
Auf dem Forum und bei unseren Besuchen der Partner im Bundesstaat Pará haben wir etwas Anderes gehört. Da ist von der Umleitung von Flüssen (Rio San Francisco) die Rede, die der Industrie nutze, den Anwohnern aber das Wasser entziehen werde. Da setzen sich indigene Völker gegen den Bau von großen Stauseen in ihren Gebieten ein (Altamira). Da rechnen Bauernorganisationen vor, wie der großflächige Anbau von Soja letzte nutzbare Flächen auffrisst.
Auch wenn Manches geprüft werden muss – Umweltgesichtspunkte kommen im Programm Lula nicht vor.

Wie es mit der Medienfreiheit in Brasilien bestellt sei?
Die dahinter liegende Frage ist bedeutsam: In Brasilien sind Tausende von Lokalradios entstanden, die eine entscheidende Lücke im brasilianischen Mediensystem schließen könnten: Information – Information über die Angelegenheiten, die die Menschen in den Dörfern und den Favelas benötigen. Die Betreiber von Lokalradios stehen mit einem Fuß im Gefängnis, wie uns die EED-Fachkraft Andreas Behn (Rio de Janeiro) berichtet: Genehmigungen könnten sieben bis acht Jahre dauern; ob sie überhaupt erteilt werden, sei nicht sicher; bei evangelikalen Sendern ginge es leichter und schneller.
Lula hat es einer seiner Mitarbeiterinnen überlassen, diese Frage zu beantworten. Was tun Politiker in solchen Fällen? Sie verweisen auf die bestehende Gesetzeslage, die alles bestens regle. Ein wichtiges Anliegen sei freilich noch zu verfolgen: Betreiber illegaler Radios sollten nicht mehr ins Gefängnis wandern, sondern mit einer Geldstrafe davon kommen.

Notiz am Rande: Die Organisation der Landlosen in Brasilien, da Movimento Sem Terra (MST) hat sich gestern mit den Staatspräsidenten Paraguays, Boliviens, Ecuadors und Venezuelas in geschlossener Runde getroffen. Lula war vom MST nicht eingeladen, seine vier Kollegen haben das nachgeholt. Der Staatspräsident hat „aus terminlichen Gründen“ abgesagt.

Jürgen Reichel

Donnerstag, 29. Januar 2009

"Besser eine Idee in hundert Köpfen ...

"… als hundert Ideen in einem Kopf“. Mit diesem Motto warb Zulma Careca aus Bolivien für die Methode „von Bauer zu Bauer“ auf einer Veranstaltung von Brot für die Welt und ihren lateinamerikanischen Projektpartnern auf dem Weltsozialforum. Ziel ist die Stärkung einer ökologischen Landwirtschaft und die Förderung der biologischen Vielfalt. Was verbirgt sich hinter der Methode „von Bauer zu Bauer“?

Bei der Methode geht es darum, dass die Bauern untereinander ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben und auf Augenhöhe voneinander lernen. „Unsere Hauptaufgabe ist es, die Bauern davon zu überzeugen, dass die konventionelle Landwirtschaft schädlich ist und den Boden verseucht. Wir setzen dagegen unsere Erfahrungen und Erfolge mit der ökologischen und nachhaltigen Bewirtschaftung des Bodens“, berichtet Zulma Careca. Wir gehen in die Öffentlichkeit, auf Messen und bilden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus. Die eigenen Erfahrungen sind oft die überzeugendsten. Und von Erfolgen können sie berichten:

  • ehemals verseuchte Böden bringen langsam wieder bessere Erträge;
  • ihre Erträge insgesamt sind gestiegen;
  • durch die Vielfalt des Anbaus können Familien wieder von den eigenen Erträgen leben und zusätzlich einen kleinen Überschuss für den lokalen Markt produzieren;
  • die Gemeinschaft in den Dörfern und das Selbstbewusstsein der Bäuerinnen und Bauern ist gewachsen.

Von vergleichbaren Erfolgen berichteten Vertreterinnen und Vertreter aus Bolivien, Brasilien, Guatemala, Kuba, Mexiko, Panama und Peru

Dass Zulma Careca und all die anderen auf dem richtigen Weg sind, bestätigte Angelika Hilbeck vom Institut für Integrative Biologie in Zürich am Nachmittag bei der Veranstaltung „Kleinbäuerliche, indigene und nachhaltige Landwirtschaft als Weg zur Ernährungssouveränität in Zeiten weltweiter Nahrungsmittelkrisen“. Dort stellte sie die Ergebnisse des Weltagrarberichts vor, der auf UN-Ebene von 400 unabhängigen Wissenschaftlern verfasst wurde. Dieser Bericht bestätigt, dass die Ernährungssouveränität vor allem durch eine Stärkung der Kleinbauern und der Förderung biologischer und die Artenvielfalt erhaltene Anbaumethoden in der Landwirtschaft gesichert werden kann.

Begegnungen am ersten Tag





Vertreter indigener Völker eröffnen das Weltsozialforum



Treffen mit dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prot von Kunow am Rande des Weltsozialforums

Dienstag, 27. Januar 2009

Landlose Bauern erarbeiten sich selbst ihre Zukunft

26. Januar: Besuch eines Projektes der Movimento Sem Terra in Mosqueiro

Landarbeiter und Kleinbauern haben in Brasilien nach wie vor riesige Probleme. Es gibt Sklavenarbeit auf den Rinderfarmen, Kleinbauern ringen ums Überleben. Trotzdem ist die Landlosenbewegung eine der großen Erfolgsgeschichten der sozialen Bewegung in Brasilien.
In Mosqueiro zum Beispiel wurde Landbesetzern nach langen Jahren des Ringens mit der Landregierung von Para Land aus einem aufgegebenen Tourismusprojekt zugewiesen. Nun versuchen die Kleinbauern dieses Land möglichst nach ökologischen Grundsätzen zu bewirtschaften und vernünftige Anbaumethoden zu praktizieren, die ihnen auch das wirtschaftliche Überleben ermöglichen. Vielfalt statt Monokulturen ist das Stichwort. Statt das Land für Ölpalmen zu nutzen, die wegen des Schädlingsbefalls massenhaft Pestizide benötigen, wird durch den Anbau von Açai-Palmen und Cupuaçu-Bäumen sowie vielfältigen Feldfrüchten sichergestellt, dass die landwirtschaftliche Nutzung nachhaltig ist. Jeder Familie stehen ca. 4,5 Hektar landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung.

Anhörung im Landesparlament von Pará.

Auf Anregung einer Schweizer Parlamentarier-Delegation gab es eine parlamentarische Anhörung zu Fragen der Amazonas-Region. Dabei waren Abgeordnete sowie Expertinnen und Experten staatlicher Behörden, Vertreter von indigenen Organisationen und der Landlosen.
Die EED-Delegation war ebenfalls eingeladen.
Die Anhörung brachte die brennenden Themen Amazoniens wie die Abholzung und großagrarische Nutzung wie den Sojaanbau zu Gehör. Sie war zugleich ein Musterbeispiel dafür, wie Parlamentarier es verstehen, Reden zum Fenster raus zu halten. Da wurde von einer Abgeordneten der Mangel an Kultur und Kommunikationsfähigkeit bei den Flussbewohnern und den Caboclos beklagt. Ob dieser Hinweis den Armen und Benachteiligten dieses Landes wirklich hilft? Wer sich nicht zu wirklich durchgreifenden Aktionen zur Rettung des größten Naturreservats der Welt entschließen will, der redet und redet und redet ...

Indigene und Quilombolas geben Tempo und Ton an

Bis zum gestrigen Abend sind 92.000 Registrierungen für das Weltsozialforum erfolgt. Und
heute treffen sich viele der Frauen und Männer aus aller Welt wie auch aus den entlegenen Gebieten am Amazonas oder in den Anden mitten in der Stadt, um gemeinsam für Menschenrechte und Frieden zu demonstrieren. Vom Hafen führt die Demonstration ab 15 Uhr quer durch die Stadt auf einen zentralen Platz, wo abends die Kundgebung stattfindet. Eine Herausforderung für alle, die sich vom nachmittäglichen Wolkenbruch nicht beirren lassen, aber auch für Belém selbst, dessen Verkehr zum Erliegen kommt.

In den bunten Zug reihen sich auch die Delegationen von EED und Brot für die Welt ein. Das große Transparent fordert nachhaltige und ökologisch ausgerichtete landwirtschaftliche Produktion und sagt Nein zum Export von Nahrungsmittelresten in arme Länder – z.B. überschwemmt Hühnerklein aus europäischer und brasilianischer Produktion die Märkte Westafrikas; die einheimischen Geflügelmärkte sind längst zerstört. Eine riesige Plastikkuh von Greenpeace zeigt die nationalen Flaggen der Länder mit dem weltweit größten Fleischverbrauch. In der Nähe laufen Mitglieder der Lutherischen Kirche Brasiliens, die Frauen der Methodistischen Kirche Brasiliens, Vertreter und Vertreterinnen des Weltrates der Kirchen, viele Menschen aus anderen Organisationen und sozialen Bewegungen, die sich stark machen für konkrete Umweltanliegen und für die Einhaltung von Menschenrechten.

Dass auf dem Forum nicht über die Probleme indigener Völker geredet werden soll, sondern ihre Vertreterinnen und Vertreter selbst zur Sprache kommen werden, machen die anwesenden Indigenen und Quilombolas auf ihre Weise klar. Sie schaffen es, die relative Ordnung des Zuges mit ihrem schnelleren Tempo zu durchbrechen, geben durchaus Tempo und Ton an. Der morgige erste Tag des Forums wird sich Amazonien und seinen Menschen widmen.

Die kirchlichen Organistaionen, die auf dem Forum vertreten sind, bilden eine ökumenische Koalition unter dem Motto „Entwicklung – Rechte und Gerechtigkeit“; sie haben sich der gemeinsamen Vision „Eine andere Welt ist möglich“ verpflichtet. Zu den Mitgliedern gehören EED und BROT für die Welt, Caritas International, der Lutherische und der Reformierte Welrbund, der Weltrat der Kirchen, Pax Christi und viele andere. Die Koalition will Erfahrungen und Ideen austauschen, Fallstudien und Netzwerkarbeit fördern.

Christine Busch

Lutherische Gemeinde: Kultur, Sozialarbeit, Verteidigung der Menschenrechte

Die kleine lutherische Gemeinde in Belém hat eine enorme Ausstrahlung. Zur ihrer Tanzgruppe Iacá gehören mehr als 80 junge Leute; sie treten mit ihrer Musikgruppe im ganzen Land auf und sind auch beim Weltsozialforum präsent. Ihre CDs verkaufen sich gut.

Wenige Strassen vom Gemeindezentrum entfernt, in der Favela Vila da Barca direkt am Fluss, unterhält die Gemeinde ein Sozialprojekt für Kinder und Jugendliche in drei verschiedenen Altersgruppen. Es geht um kulturelle Bildung in einem Viertel, das durch hohe Arbeitslosigkeit der Eltern, sexuelle Ausbeutung besonders der Kinder, Drogenhandel und Gewalt geprägt ist. Der Gemeinde ist es wichtig, die Kinder und Jugendlichen zu aktivieren und mit ihnen Perspektiven zu erarbeiten. Die Angebote nehmen die Situation der Kinder auf, z.B. in selbst entwickelten Theateraufführungen. Musikinstrumente, die aus Abfall gebaut werden, kommen dabei zum Einsatz.
Vom Staat und von der Kommune sieht sich die Gemeinde allerdings nicht unterstützt. Als vor vier Jahren die Favela umstrukturiert wurde, wurde auch das Gebäude der Gemeinde abgerissen und ein weit kleineres, unzureichendes Provisorium zugewiesen, in dem sich nun 50 Kinder und Jugendliche mit einer Müttergruppe einen Raum teilen. Für dieses Jahr wurde endlich eine neue Lösung in Aussicht gestellt.

Die Favela selbst ist auf Pfählen über den Fluss gebaut: ein Ensemble von kleinen Bretterhütten, die über Stege zugänglich sind, dicht an dicht, hin und wieder ein winziger Laden oder ein Minigarten dabei. Die Fäkalien gehen direkt aus dem Plumpsklo oder dem in der Hütte integrierten Schweinestall in den Fluss, ebenso der Müll, denn eine Müllabfuhr gibt für die Favela nicht. 90 % der 3000 Familien, die hier leben, haben ein Einkommen von unter 400 Reais ( ca. 130 Euro ). Die Alternative zur Vila da Barca scheint höchstens eine andere Favela zu sein.
Weil der Boden unter den Hütten zunehmend weggeschwemmt wurde, gelang es, Vila da Barca in das 2003 von der Regierung Lula begonnene Urbanisierungsprogramm aufzunehmen. Gegen die Bevölkerung, die eine „Revitalisierung“ der gewachsenen Struktur, also eine Befestigung des Pfahldorfes, wünschte, entschieden die politischen Stellen für den Bau von 136 Wohnungen in unmittelbarer Nähe, jeweils mit Bad und drei oder vier kleinen Zimmern in zweigeschossiger Bauweise. Gut ein Jahr nach ihrer Fertigstellung sieht man ihnen nicht mehr an, wie jung sie sind. Zur qualitativ schlechten Bauausführung kommt hinzu, dass bei starkem Regen – vom Hochwasser ganz zu schweigen – das Wasser durch die Betonböden drückt. Die permanente Feuchtigkeit ist nicht zu beheben. Die Gemeinde hat wegen nachgewiesener Korruption den nationalen Rechnungshof eingeschaltet, so dass der Weiterbau der neuen Siedlung eingestellt werden musste.

Doch die Gemeinde macht sich nicht nur zur Fürsprecherin der Menschen. Sie versucht ebenso, ein juristisches Grundwissen zu vermitteln, über Rechte aufzuklären, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. „Empowerment“ ist das Ziel, also Stärkung oder Befähigung. Cibele Kuss, die Pfarrerin der Gemeinde, ist seit einiger Zeit Ombudsfrau für die Einhaltung der Menschenrechte in Belém. Als Vorsitzende eines Teams von 15 Mitarbeitenden, die sowohl die Zivilgesellschaft wie auch das Amt für öffentliche Sicherheit vertreten, hält sie Kontakt zur Staatsanwaltschaft, kann alle Dokumente der monierten Fälle einsehen und Befragungen durchführen. Sie übergibt der EED-Delegation eine Dokumentation über Menschenrechtsverletzungen und Morde, die durch Polizisten begangen wurden. (siehe Blog Polizeigewalt und Straflosigkeit). Allein im Januar 2009 gab es neun Hinrichtungen; sieben Verfahren hat Cibele Kuss inzwischen eingeleitet. Die Angehörigen finden Zuflucht und Unterstützung in der Gemeinde, und sie haben endlich eine Hoffnung auf transparente, unter den Bedingungen und mit den Mitteln des Rechts geführte Strafverfahren gegen die Polizei.
Christine Busch

Montag, 26. Januar 2009

Polizeigewalt und Straflosigkeit in einer der Städte, die 2014 die Fußball-WM austragen soll

Ein Fall von vielen...,
Rosa Viana erzählt: „Mein Sohn Rafael, 21 Jahre, ist nach einer Party in eine Schlägerei verwickelt worden. Die Militärpolizei hat ihn aufgegriffen und abgeführt. 23 Tage lang haben wir nach ihm geforscht. Weder bei der Polizei noch in den Krankenhäusern konnten wir etwas über sein Verbleiben erfahren. Dann fand man seine Leiche in einem Abwasserkanal. Er wies Spuren von Folterungen auf. Man hatte ihm die Hände und Füße abgehackt. Wir konnten rekonstruieren, wer die sechs Polizisten waren, die ihn abtransportiert haben. Der Kommandant ist seither verschwunden. Das alles ist am 1. November 2007 passiert. Bisher ist die Verhandlung noch nicht eröffnet worden. Alle Spuren im Auto sind verwischt worden.“

... ein zweiter ...
Der Patenonkel von Raimundo Santiago Sales (28) und Romildo dos Santos ist selber Polizist. Er ist von seinen eigenen Kollegen mit dem Tode bedroht worden. Aus Zufall stieß er dazu, wie sich einige seiner Kollegen mit den Leichen seiner Patensöhne zu schaffen machten. Ihr Benehmen kam ihm eigenartig vor. „Lass uns alles im Guten regeln“, wurde er aufgefordert. Sie selbst hatten, so stellte es sich heraus, die beiden Jungen erschossen. Die Jungs wollten schwimmen gehen, waren nicht bewaffnet. Augenzeugen berichten, dass die Polizisten betrunken waren. Nicht sie müssen sich jetzt fürchten, sondern der Zeuge, der die „Kameradschaft verrät“. Er habe Angst um sein Leben, erzählt er uns.

... und viele weitere, die nicht verfolgt werden.
Diese Fälle sind von der Menschenrechtsbeauftragten der Stadt Belém, der lutherischen Pfarrerin Cibele Kuss, aufgenommen und recherchiert worden. Allein im Monat Januar seien schon neun Menschen Opfer der Polizeigewalt geworden. Alle seien wie Hinrichtungen inszeniert worden. Das sei nicht ungewöhnlich. Aber seitdem es eine Menschenrechtsbeauftragte gibt, werden die Fälle bekannt. Auf der einen Seite habe die von der Arbeiterpartei geführte Regierung des Bundesstaates die Ombudsfrau eingesetzt und unterstütze ihr Team von Juristen und Sozialarbeitern. Auf der anderen Seite würden die Ermittlungen behindert, obwohl die Polizei der Gouverneurin untersteht.

Belém ist Austragungsort für die Fußballweltmeisterschaft 2014.

Jürgen Reichel

Sonntag, 25. Januar 2009

Die Stimme erheben für Menschenrechte und Umwelt

Die Region Amazonien beeindruckt durch ihre enorme biologische Vielfalt. Doch dieser einzigartige Lebensraum gerät immer mehr in Gefahr: Transnationale Konzerne beuten die natürlichen Ressourcen wie Holz, Aluminium und Wasser aus. Im Kampf gegen die Zerstörung Amazoniens haben sich Aktionsgruppen aus sechs Anrainerstaaten zur Interessengemeinschaft FASE (Programm für Ernährungssicherheit, Agrarökologie und solidarische Ökonomie) zusammengeschlossen. Im Bundesstaat Pará, dem Ausrichtungsort des Weltsozialforums 2009, arbeiten 23 Männer und Frauen für FASE, landesweit sind es etwa 100 Mitarbeiter. Leticia Rangel Tura ist eine der Koordinatorinnen für die nationalen Programme der FASE.

Was ist die wichtigste Aufgabe von FASE?
Unsere wichtigste Aufgabe ist die Suche nach der Durchsetzung von Entwicklungsmodellen, die gleichzeitig die Menschenrechte garantieren und die Umwelt schützen.

Gibt es konkrete Beispiele für diesen Ansatz?
Ja. Zum Beispiel arbeiten wir mit Kleinbauern im Bereich der Agrarökologie oder Agroforstwirtschaft zusammen. Sie lernen, dass Monokulturen sie in eine zu große Abhängigkeit führen und zudem den Boden Dieses Modell ermöglicht es ihnen, ihre Ernährungssicherheit zu gewähren und gleichzeitig zerstört es auch nicht die Umwelt. Und sie können überleben mit dem, was sie in der Region erwirtschaften.

Was sind das für Leute?
Wir sind ein sehr multidisziplinäres Team: Bislang waren bei uns vorwiegen Leute mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund tätig, Soziologen, Historiker, Philosophen, Agronomen. Aber in letzter Zeit haben wir bei uns auch vermehrt eine neue Generation von aufgeklärten Mitarbeitern aus dem technischen Bereich und auch Juristen.

Was war Ihr bislang größter Erfolg?
Wir arbeiten in sechs Regionen an unterschiedlichen Problemen und vertreten dazu natürlich auch jeweils unterschiedliche Positionen. Deshalb wäre es ungerecht, ein Projekt als Highlight herauszuheben. Aber hier in Amazonien haben wir in einem Fall tatsächlich wirklich richtig öffentliche Politik verändert: In der Region Xingu hat die Umweltbehörde mal eine großé Menge an illegalem Holz beschlagnahmt und ein Vorschlag der Zivilgesellschaft war, dass die Regierung das Holz verkauft und aus dem Erlös einen Fond gründet, aus dessen Zinsen Kleinprojekte unterstützt werden von umweltschützenden und sozial gerechten Initiativen. Diesen sogenannten Dema-Fond hat die FASE mitverwaltet.

Sind Sie unbequem für die Regierung?
Wir üben harte, aber konstruktive Kritik, deshalb sind wir sicher an manchen Stellen unbequem. Es kommt aber auch immer drauf an, mit wem man spricht, denn die Regierung hat verschiedene Façetten, die zum Teil auch gegeneinander in Opposition sind.

Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit dem EED?
In einer Welt, wo die internationale Kooperation vermehrt einfachere Lösungen sucht und sehr pragmatisch wird, haben wir mit dem EED einen zuverlässigen Partner, der unsere Philosophie mit unterstützt und um die Komplexität der Prozesse weiß, in die wir involviert sind. Und das ist für uns sehr wichtig.

Interview: Martin Koch