Montag, 2. Februar 2009

Belém: Als Amazonisches Forum Note 1, als "Welt“-Sozialforum Note 4

Der Internationale Rat des WSF hat am 2.2. eine Auswertung des abgeschlossenen Forums in Belém vorgenommen.
Quintessenz: Das Amazonische Forum hat alle Erwartungen erfüllt. Abstriche mussten bei der Internationalität gemacht werden.


Die Erwartungen an die Mobilisierung der indigenen Völker des Amazonasbeckens haben sich erfüllt. Ihre Präsenz war beeindruckend. Sie konnten ihre Anliegen zum Ausdruck bringen und auf die Besorgnis erregende Bedrohung ihrer Lebenswelt hinweise. Für sie ist das WSF in Belém zum Ort geworden, an dem sie ihr Selbstbewusstsein vor der ganzen Nation und einer internationalen Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen konnten. Auch die Quilombos, Siedlungen, die sich ehemals aus geflüchteten Sklaven, gegründet hatten, haben das Forum mit geprägt. Mehr als 1.500 Quilombolas sind nach Belém gekommen. Die sozialen Bewegungen, allen voran die der Landlosen, waren unübersehbar.
Die Bewohner des riesigen Amazonasbeckens haben somit trotz der enormen Entfernungen, der logistischen Herausforderungen und ihrer Armut die Plattform des Forums angenommen. Die Erwartungen, dass sich im Amazonasbecken die Belastungen einer forcierten Wirtschaftentwicklung für die Umwelt und die Bevölkerung besonders gut zeigen lassen, haben sich erfüllt. Indigene, Quilombolas, Kleinbauern und –bäuerinnen und die Flussfischer konnten eindrücklich nachweisen, dass sie in der Lage wären, die ökologischen Systeme zu schützen und den sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten.

Besonders beeindruckend ist es gewesen, wie viele junge Menschen das Forum geprägt haben. Der Internationale Rat ist erfreut darüber, dass eine neue Generation das Forum als sein eigenes übernommen hat. Die Jugendvertreter beklagen allerdings, dass die Jugend –wie die indigenen Völker auch – keine Vertretung im Internationalen Rat hat.

Unerträglich war die Ausgrenzung der Bewohner der an die Tagungsorte angrenzenden Slums. Sie sind durch die Einlasskontrollen vom Forumsgelände ferngehalten worden. Um bessere Zugänge zu den beiden gastgebenden Universitäten zu erhalten, waren Siedlungszeilen geräumt und Straßen verbreitert worden. Die Stadt Belém und der Bundesstaat Pará haben sich teilweise nur unwillig mit dem Organisationskomitee abgestimmt; Grundanliegen des WSF, wie zum Beispiel die Offenheit des Forums für Alle, sind dadurch gefährdet worden.

Ganz problematisch ist das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit angesichts des Müllbergs, den das Forum angerichtet hat und der Abfallflut, die sich über die Veranstaltungsgelände ergossen hat. Eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie des Forums ist überfällig.

Das „Amazonische Forum“ ist zwar gelungen. Ein „Welt“-Sozialforum ist Belém aber nur ansatzweise gewesen. Am ehesten noch dadurch, dass Problematiken und Auseinandersetzungen des Amazonasbeckens illustrieren, wie eine globalisierte Wirtschaft Räume und Menschen vereinnahmt. Die internationale Präsenz aber war schwach. Ganze Großregionen sind kaum vertreten gewesen: Afrika, Asien, der arabische Raum, Osteuropa.

Einen ganz entscheidenden Fortschritt haben die „Assambleias", die thematischen Versammlungen, des letzten Tages erbracht: Sie waren überwiegend gut vorbereitet und stark besucht. Fast alle haben Konsenspapiere verabschiedet, die demnächst ins Netz eingestellt werden und die der Internationale Rat diskutieren wird. Diese Kundgebungen sind wichtige Orientierungspunkte für Strategien der weltweiten Zivilgesellschaft, sich für eine „andere Welt“ einzusetzen.

Die Anwesenheit der fünf Staatsoberhäupter von Brasilien, Ecuador, Bolivien, Paraguay und Venezuela wertet das Forum auf. Sie haben die Leitlinien des Internationalen Rates beachtet: Keine Auftritte auf dem Forumsgelände, keine Großveranstaltungen während der Tagungszeiten 8.30 bis 18.00 Uhr. Bei keinem der Treffen mit Regierungschefs hat es allerdings einen Diskurs gegeben; die Selbstdarstellung der Präsidenten hat großen Raum eingenommen. Hier entstehen Fragen über das anzustrebende Verhältnis des Forums zu Regierungen. Einige Mitglieder des Rates wünschen demgegenüber eine viel engeres Miteinander von Zivilgesellschaft und „Regierungen, die von sozialen Bewegungen getragen werden".

Jürgen Reichel

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